Literatur

Chiffren, wohin man schaut

Wider den Gegenwartsmenschen und seine Neigung zum Zwischenmenschlichen: Botho Straußteilt Hiebe aus.

Die verlassene Frau gehört nicht unbedingt ins Figurenrepertoire der neuesten Literatur. Wenn diese Frau auch noch den altertümlichen Vornamen Gertrud trägt und von Beruf Dichterin ist, scheint der Anachronismus perfekt. Gertrud heißt sie, so wie in Gertrud Kolmar oder Gertrud von le Fort, Namen von Dichterinnen, die heute kaum jemand mehr kennt – außer Botho Strauß.

Diese Gertrud hieße gern anders, etwa Elissa, wie die karthagische Prinzessin, die, so erzählt es Vergil, von ihrem Geliebten Aeneas brüsk verlassen wurde. In der mythologischen Zurüstung bleiben die Sachverhalte undeutlich. Wer ist dieser Mann? Wie hat er seinen plötzlichen Abgang erklärt? Wie groß kann die Liebe gewesen sein, wenn die Frau ihn immer schon durchschaut hatte? Man würde manches gerne besser verstehen, aber für derlei Aufschlüsse ist Strauß der falsche Autor. „Chiffren für sie“ heißt der Band im Untertitel, der ebenfalls Rätsel aufgibt. Vielleicht versteht man ihn richtig, wenn man „Chiffren“, „geheime Schriftzeichen“, als Gattungsbezeichnung liest. Strauß' Prosa exerziert einen Sprachgebrauch von erhöhter „Pixeldichte“ und „Auflösung“. Das führt tief in die Unverständlichkeit und manchmal auch wieder aus ihr heraus. In seinen Essays hat sich Strauß über die Jahre den Ruf eines politisch-intellektuellen Reaktionärs erworben. In der Prosa teilt er nur nebenbei ein paar Hiebe aus, natürlich gegen den entzauberten Gegenwartsmenschen und seine Neigung zum „Zwischenmenschlichen“, seinen Hang zur „Kommunikation“, zur „Therapie“ und zur Pflege von „Beziehungen“. Sein hoher Stil verträgt nicht die Untiefen des gemeinen Sozialen, braucht sie aber als Kontrastmittel. Das Preziöse und Verschwurbelte in manchen Wendungen kann trefflich belacht werden, ist aber vielleicht eher Absicht als Missgeschick: „Nur Sprache, die glüht, kann geschmiedet werden.“ Tatsächlich kann man sich schwer eine glühendere literarische Sprache vorstellen als diese – aber das mit ihr Geschmiedete bleibt oft ungreifbar. Chiffren, wohin man schaut.

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