Die Massenproteste in Frankreich gegen die Pensionsreform sorgen weltweit für Schlagzeilen. Die Zeitungskommentatoren stellen sich tendenziell hinter das Reformpaket der Regierung.
Die Proteste in Frankreich gegen die geplante Pensionsreform kommentieren am Freitag internationale Tageszeitungen.
"The Times" (London):
"Das wirtschaftliche Argument für die Pensionsreform ist überwältigend, und der Präsident sollte trotz der Proteste standhaft bleiben. Die Notwendigkeit von Reformen ist nicht spezifisch für Frankreich, auch wenn sie dort besonders akut ist. Die demografischen Faktoren, die die Kosten für das französische System erhöht haben, sind in anderen entwickelten Industrienationen ebenso verbreitet. Die Menschen leben länger. Das ist eine gute Sache, aber sie hat ökonomische Implikationen. (...) Herr Sarkozy ist in diesem Fall ein Fahnenträger für ökonomische Vernunft und Notwendigkeit."
"Neue Zürcher Zeitung":
"Die Rentenreform ist zu einem Blitzableiter für eine viel tiefer reichende Missstimmung geworden. In den Protesten äußern sich auch Verunsicherung über die schwierige soziale Lage vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise sowie eine generelle Unzufriedenheit mit dem Staatschef, dessen Haudegen-Methoden und polarisierender Stil viele Franzosen abstoßen. Doch legitimiert all dies die Gewerkschaften, die staatlichen Institutionen auszuhebeln und das Land zu paralysieren? Wohl kaum - die Franzosen werden aber in den kommenden Tagen und Wochen ihre eigene Antwort darauf geben müssen."
"de Volkskrant" (Amsterdam):
"Es sieht aus, als ob es Frankreich zweimal gibt. In dem einen dominiert der Staat, der weiß, was gut ist für seine Bürger. In dem anderen Frankreich liegt das Schwergewicht beim freien Bürger, der revoltiert, wenn er meint, dass seine Rechte mit Füßen getreten werden. Das eine Frankreich ist eine nette bürgerliche Gesellschaft, in dem anderen lodert die revolutionäre Flamme. Das eine ist bekannt für den geringen Organisationsgrad seiner Arbeitnehmer, das andere neigt zur totalen gewerkschaftlichen Solidarität. Das eine wird vom Elysée regiert, das andere von der Straße. Das eine Frankreich ist sich der Herausforderungen der modernen Zeiten vollkommen bewusst, das andere hängt an Traditionen und sieht Arbeit vor allem als lästige Nebensächlichkeit an."
"La Croix" (Paris):
"Aus Sicht der ganzen Welt ist Frankreich ein reiches Land, in dem es sich gut leben lässt. Die Bilder, die in diesen Tagen weltweit über die Bildschirme flimmern, stärken aber eine andere Wahrnehmung: die einer blockierten Gesellschaft. Die maskierten Jugendlichen und die brennenden Autos in Lyon haben international die Vorstadtkrise von 2005 in Erinnerung gerufen. Als die Vorstädte eine nach der anderen in Flammen standen, hat sich bei zahlreichen ausländischen Beobachtern die Feststellung eingeprägt: Frankreich schafft es nicht, seine benachteiligte Bevölkerung zu integrieren, vor allem die mit Migrationshintergrund. Es bietet keine soziale Mobilität mehr, die auf die Unzufriedenheit eines Teils der Bevölkerung eingeht. Es ist das Bild eines Landes der Ungleichheit, das sich aufdrängt."
(APA)