Parteitag

Muss Michael Ludwig vor der grünen Doppelspitze zittern?

Judith Pühringer und Peter Kraus bilden die künftige Doppelspitze bei den Wiener Grünen.
Judith Pühringer und Peter Kraus bilden die künftige Doppelspitze bei den Wiener Grünen.(c) Mirjam Reither
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Am Samstag wählen Wiens Grüne bei ihrem Parteitag erstmals eine Doppelspitze. Das eröffnet fünf brisante Fragen, darunter: Wer hat bei den Wiener Grünen das letzte Wort?

Es wird eine Entscheidung, die manche bei den Wiener Grünen als „historisch“ bezeichnen: Bei der grünen Landesversammlung am Samstag stellen sich Judith Pühringer und Peter Kraus, beide nicht amtsführende Stadträte, der Wahl zur ersten gleichberechtigten Doppelspitze in der Geschichte der Wiener Grünen. Diese ungewöhnliche Konstruktion eröffnet fünf Fragen.

1) Warum setzen die Wiener Grünen auf eine Doppelspitze?

Vorbild sind die deutschen Grünen unter Annalena Baerbock und Robert Habeck, die im dortigen Wahlkampf dem Kanzleramt zunächst sehr nahe kamen – phasenweise lagen die deutschen Grünen in Umfragen auf Platz eins, bis Baerbock schwere Fehler (Plagiatsvorwürfe, geschönter Lebenslauf) passierten. Beide harmonieren so gut, dass die Wiener das aber als Vorbild für die eigene Partei sehen.

Ein zweiter Punkt: Nach dem Ende der grünen Regierungsbeteiligung in Wien und dem unrühmlichen Ende der damaligen Parteichefin, Birgit Hebein, müssen sich die Wiener Grünen völlig neu aufstellen – inhaltlich und personell. Diese nicht einfache Aufgabe wurde sicherheitshalber auf die Schultern von zwei Personen verteilt. Abgesehen davon entspricht eine gleichberechtigte Doppelspitze aus einem Mann und einer Frau grünen Grundsätzen, die Macht geschlechtergerecht auf möglichst viele Schultern zu verteilen (Stichwort Basisdemokratie).

Apropos mehrere Schultern: Die Doppelspitze wird mit David Ellensohn im grünen Rathausklub entsprechend ergänzt. Somit besteht die Führungsriege aus einer Quereinsteigerin (Pühringer), einem etablierten, jungen Aufsteiger (Kraus) und einem erfahrenen Klubchef (Ellensohn).

2)  Wo liegen die Probleme bei der grünen Doppelspitze?

Eine gleichberechtigte Doppelspitze hat enormes Konfliktpotenzial. Denn bei der kleinsten Meinungsverschiedenheit stellt sich die zentrale Frage: Wer entscheidet am Ende des Tages? Also: Wer führt in Wirklichkeit die Partei? In diesen Fällen droht den Wiener Grünen ein Patt, das die gesamte Partei lähmen würde.

Pühringer und Kraus kommentierten das im Interview mit der „Presse am Sonntag“ so: „Wir werden das dann gemeinsam entscheiden.“ Das impliziert: Eine Person muss nachgeben und sich der anderen unterordnen. Wie das bei einer gleichberechtigten Doppelspitze funktionieren soll, bleibt offen.

Dazu kommt: Andere Parteien können die grüne Doppelspitze gegeneinander ausspielen. Es ist erwartbar, dass bei der Vielzahl an Themen, mit denen Pühringer und Kraus künftig konfrontiert werden, beide gelegentlich eine unterschiedliche Meinungen artikulieren werden. Dann können die anderen Parteien einen Keil in die grüne Doppelspitze treiben.

3)  Was bedeutet die Entscheidung kurzfristig?

Die lange Lähmung der Partei nach dem Ende von Rot-Grün könnte beendet sein. Die Wiener Grünen werden eine neue Führung erhalten, die dazu zwei zentrale Felder der Partei personell abdecken: Klimaschutz (Kraus) und Soziales (Pühringer). Wobei zu erwarten ist, dass Pühringer das Sozialthema offensiver forciert als ihre Vorgängerin Birgit Hebein, deren Fokus stark auf polarisierenden Verkehrsthemen (Pop-up-Radwege, Begegnungszonen etc.) lag.

Allerdings müssen die Wiener Grünen nach zehn Jahren in der Stadtregierung die Oppositionsrolle erst wieder mühsam lernen.

(c) Mirjam Reither

4) Wird die Opposition mit vereinten Kräften gegen Rot-Pink agieren?

Grundsätzlich ist das nicht zu erwarten. Die FPÖ ist nach ihrem Debakel bei der Wien-Wahl noch immer paralysiert, die ÖVP Wien setzt fast ausschließlich auf Themen, die sie (nicht nur auf Bundesebene) den Freiheitlichen abgenommen hat (Islamismus, Migration etc.) – und sie ist natürlich durch die Turbulenzen auf Bundesebene mit sich selbst beschäftigt. Immerhin ist Finanzminister Gernot Blümel bekanntermaßen auch Wiener ÖVP-Chef. Damit eröffnet sich für die Wiener Grünen die theoretische Möglichkeit, sich als führende Oppositionspartei in Wien zu inszenieren. Dazu müssten sie den Umstieg von Regierungs- zu Oppositionspartei schaffen – was die Wiener Grünen seit dem Ende von Rot-Grün (vor einem Jahr) aber noch nicht geschafft haben.

5)  Muss Michael Ludwig nun vor der grünen Doppelspitze zittern?

Grundsätzlich nein. Immerhin sitzt mit Peter Kraus jene Person in der grünen Doppelspitze, die die rot-grüne Linie bereits unter Maria Vassilakou mitgetragen hat. Kritik aus grünen Kreisen kann die SPÖ mit Verweis auf die grüne Regierungsbeteiligung kontern. So erklärte Bürgermeister Michael Ludwig zuletzt süffisant: Er verstehe die Kritik der Grünen am Lobau-Tunnel nicht. Das Projekt sei unter einer grünen Verkehrs- und Planungsstadträtin beschlossen worden.

Schwerer wird es bei Angriffen im Sozialbereich durch Judith Pühringer: Sie kann argumentieren, damals noch nicht an Bord gewesen zu sein; und dass sie damals anders entschieden hätte.

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