Stundenlanger Ausfall

Wie Facebook sich mit einem Update selbst abgeschossen hat

Zwei Frauen während des Facebook-, Instagram- und WhatsApp-Ausfalls in New York
Zwei Frauen während des Facebook-, Instagram- und WhatsApp-Ausfalls in New York(c) ED JONES / AFP / picturedesk.com
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Am Montag um 19 Uhr gingen bei Facebook, Instagram und WhatsApp die Lichter aus. Beinahe sechs Stunden dauerte die Wiederherstellung. Wie es dazu kommen konnte.

Es war Facebooks höchstpersönliches Blackout-Horrorszenario. Am Montagabend gingen bei dem Zuckerberg-Konzern die Lichter aus. 2,9 Milliarden Facebook-Nutzer bekamen beim Aufruf der App und der Webseite nur die Meldung, dass die Seite nicht erreichbar sei. Das gleiche Bild bei Instagram und WhatsApp. Doch was hat den Ausfall verursacht und warum hat die Behebung des Problems mehr als sechs Stunden gedauert?

"Habt ihr schon mal ein- und wieder ausschalten versucht", fragt ein Nutzer auf der Twitter-Seite von Facebook. So unrecht hatte er nicht, wäre da nicht das Problem gewesen, dass die Mitarbeiter selbst ausgesperrt waren.

Facebooks offizielle Erklärung für den mehrstündigen Ausfall: "Unsere Entwickler haben herausgefunden, dass Konfigurationsänderungen an den Backbone-Routern, die den Netzwerkverkehr zwischen unseren Rechenzentren koordinieren, zu Problemen führten, die diese Kommunikation unterbrachen. Diese Unterbrechung des Netzwerkverkehrs hatte einen kaskadierenden Effekt und brachte unsere Dienste zum Erliegen."

Doch was heißt das konkret?

Dafür muss man kurz in die Architektur des Internets, das ein großes Netzwerk aus vielen Netzwerken ist, eintauchen. Dass in diesem Labyrinth alles an den richtigen Platz gelangt, dafür sorgt das "Border Gateway Protocol“ (BGP). Es ist sozusagen der Kleber, der das Internet, wie wir es kennen, zusammenhält. Technisch ist BGP ein Mechanismus, durch den Internetdienstanbieter weltweit Informationen darüber austauschen, welche Anbieter für die Weiterleitung des Internetverkehrs an welche bestimmten Gruppen von Internetadressen verantwortlich sind.

Wie Dogu Madory, Director of Internet Analysis bei Kentik, einem Netzwerküberwachungsunternehmen in San Francisco, berichtet, lässt sich der genaue Zeitpunkt feststellen, wann das Unglück für Facebook seinen Anfang nahm: Ein Facebook-Mitarbeiter hat am Montag um 17:39 Uhr mitteleuropäischer Zeit die Aktualisierung der BGP-Datensätze angestoßen und damit einen Dominoeffekt ausgelöst. Nur eineinhalb Stunden später waren die Plattformen weltweit lahmgelegt.

"Uns ist bekannt, dass derzeit manche Nutzer Probleme dabei haben, unsere Apps und Produkte zu erreichen", hieß es zu Beginn noch von Facebook. Ein schwacher Versuch, die wahren Ausmaße des Ausfalls runterzuspielen. Wobei man sicher davon ausging, dass es sich um einen kurzen technischen "Schluckauf" handelt, den es schon öfter in der Vergangenheit gegeben hatte.

Facebook selbst hat mit einem Schlag allen internetfähigen Geräten die "Reiseroute" zu sich, Instagram und WhatsApp, weggenommen. Versuchte man über einen Webbrowser facebook.com einzugeben, konnte der Rechner nichts finden und gab eine Fehlermeldung zurück.

Hochfahren mit Hindernissen

Besonders bitter ist nicht nur, dass Milliarden Menschen keinen Zugriff auf die Dienste hatten. Auch die eigene interne Kommunikation war weg. "Bei Facebook läuft alles über Facebook", sagte dazu der "Guardian-Redakteur" Alex Hern auf Twitter. Damit waren die üblichen Abläufe, wie Facebook auf solche Fälle reagiert, nicht vorhanden. Schlimmer noch, Mitarbeiter waren zum Teil ausgesperrt.

Das von Außen angestoßene, offenbar routinemäßige Update, konnte per Remote-Zugriff nicht mehr zurückgenommen werden. Die Entwickler konnten von zu Hause aus nur noch zuschauen. Aber auch Anwesende konnten nicht eingreifen. Dort waren die Mitarbeiter entweder fachlich nicht ausreichend geschult oder ausgesperrt. Die Mitarbeiterausweise wurden von den Terminals ebenfalls nicht mehr erkannt. Twitter-Berichte zeichnen ein Bild chaotischer Zustände in der Firmenzentrale. Techniker wurden gerufen, damit diese die Server direkt vor Ort manuell wieder zurücksetzten. Damit diese aber überhaupt erst rankommen konnten, so heißt es, musste ein Winkelschleifer organisiert werden, da die Server durch einen Metallkäfig zusätzlich gesichert sind.

Auswirkungen auf den gesamten Internetverkehr

Bei einem Ausfall dieser Tragweite mit immerhin mehr als zwei Drittel der aktiven Internetnutzer ist es nicht verwunderlich, dass es Auswirkungen auf andere Dienste gibt. Stellen Sie sich vor, es läutet alle paar Sekunden an der Tür und jedes, wirklich jedes Mal schauen Sie, wer da ist. Auch wenn es nur ein paar Schritte sind, stellt sich irgendwann eine Ermüdung an. Die ständigen Suchanfragen nach Facebook, WhatsApp und Instagram führen auch dazu, dass insgesamt die Anfragen an DNS-Server immer länger für eine Antwort brauchten, wie Cloudflare berichtet. Von einer Minute auf die andere vergrößerte sich diese Zeit um den Faktor 30. Selbst der Suchmaschinen-Riese Google bekam indirekt den Ausfall zu spüren.

Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es Hunderte Dienste und Apps gibt, die Facebook integriert haben und die schickten auch im Sekundentakt Anfragen an die Server, bekamen aber keine Antwort.

Das Verschwinden der drei größten Social-Media-Plattformen zeigt einmal mehr, wie fragil das Internet eigentlich aufgebaut ist. Das Internet ist keine Festung der freien Information. Vielmehr ist es ein unübersichtliches Konstrukt aus Dominosteinen. Nur ein Windhauch und es stürzt in sich zusammen, löst eine Kettenreaktion aus, die weite Teile des Internets erfasst, wie auch schon der Ausfall des CDN-Anbieters Fastly im Juni dieses Jahres zeigte.

"Die heutigen Ereignisse sind eine sanfte Erinnerung daran, dass das Internet ein sehr komplexes und voneinander abhängiges System ist, in dem Millionen von Systemen und Protokollen zusammenarbeiten", mahnt Cloudflare, das selbst 2020 von einem großen Ausfall betroffen war.

Der Aktienkurs, die Verluste des Mark Zuckerberg

Im Laufe des Abends reagierte natürlich auch die Börse auf den anhaltenden Ausfall. Um 4,89 Prozent fiel der Aktienwert. Mark Zuckerbergs Verlust binnen einer Nacht beläuft sich auf 6,1 Milliarden US-Dollar, wobei sich sein Gesamtvermögen (am Papier) auf 121,6 Milliarden US-Dollar beläuft. Mit einem Gesamtgewinn von 18,1 Milliarden im Vergleich zum Jahresbeginn relativiert sich der Verlust wieder. Auch die kolportierten 60 Millionen Dollar Verlust durch verlorene Werbeeinnahmen ist relativ zu sehen. Denn die Zugriffe auf die Plattformen sind in den letzten Stunden wieder massiv gestiegen, somit konnten auch die Werbungen wieder ausgespielt werden.

Die realen wirtschaftlichen Auswirkungen werden sich erwartungsgemäß im Rahmen halten.

Der Zeitpunkt wirft Fragen auf

Facebook hat gerade keine gute Zeit. Letzte Woche hat der Konzern einen Plan zur Einführung von Instagram für Kinder pausiert, nachdem durchgesickerte interne Untersuchungen gezeigt hatten, dass das Unternehmen wusste, dass die App die psychische Gesundheit von Mädchen beeinträchtigen könnte.

Am Sonntag ging die ehemalige Facebook-Produktmanagerin für bürgerliche Integrität, Frances Haugen, mit brisanten Vorwürfen an die Öffentlichkeit, dass Facebook Wachstum und Gewinn über die öffentliche Sicherheit gestellt habe.

„Die heute existierende Version von Facebook reißt unsere Gesellschaften auseinander und verursacht ethnische Gewalt auf der ganzen Welt“, sagte sie dem US-Sender „60 Minutes". Kurz darauf vaporisierte sich Facebook - zumindest für ein paar Stunden.

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