Im Kino

Die Toten von Auschwitz sieht man hier nicht

(c) Stadtkino Filmverleih
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„Marko Feingold: Ein jüdisches Leben“ ist ein feinsinniges Porträt eines Holocaust-Überlebenden. Der Film verdeutlicht, wieso das Jahr 1945 keine Zäsur war – weder für die Opfer noch für die Täter.

Sind 114 Minuten viel für einen Film, in dem man eigentlich nur einem alten Mann vor schwarzem Hintergrund beim Erzählen zusieht? Oder sind 114 Minuten wenig für ein Leben wie jenes von Marko Feingold? „Ein jüdisches Leben“ hat das Regisseurkollektiv Christian Krönes, Florian Weigensamer, Christian Kermer und Roland Schrotthofer seinen Film genannt. Er ist Gegenstück zu „Ein deutsches Leben“ von 2017. Damals holte das Regieteam die inzwischen verstorbene ehemalige Sekretärin von Joseph Goebbels, Brunhilde Pomsel, vor die Linse. Der Film gewährte einen befremdlichen Einblick in das Selbstverständnis einer betont unpolitischen Mitläuferin.

Feingold ist nicht unpolitisch. 1913 geboren, in Wien aufgewachsen, wurde er 1939 verhaftet und sechs Jahre lang in Konzentrationslagern interniert. Auschwitz, Neuengamme, Dachau, Buchenwald. Nach der Befreiung half er Tausenden heimatlosen Juden, ins damalige Palästina zu reisen.

Seine Erfahrungen teilte er in Vorträgen. Ein Zeitzeuge – von ihnen gibt es heute nur noch wenige. Die Regisseure, deren Fragen man nie hört, lassen ihn in ihrem feinsinnigen Porträt mehr erzählen als die Kriegsjahre: Er schildert seine früheste Kindheitserinnerung (Hunger). Wie er sich im Prater herumtrieb, statt in die Schule zu gehen. Wie er in die Tanzschule kam, um Mädchen kennenzulernen – und man ist erstaunt, wenn er so nonchalant sagt: Das seien nur „Sexgeschichten“ gewesen. Man meint, im Gesicht des zum Interviewzeitpunkt 105-Jährigen den jungen Schlawiner zu erkennen (ein Jahr später starb Feingold).

Wie sich sein Blick verändert, wenn er von den Gräueltaten der Nazis spricht! Er erzählt von einem „SS-Mann, der seinen Sohn mit derselben Hand streichelt, mit der er Menschen tötet“. Von jungen Müttern, die nicht lang trauern mussten um ihre Kinder: „Sie lebten oft nicht einmal eine Stunde mehr“, sagt er. „Weil sie vergast wurden.“

Zwischen die Interviewpassagen sind Auszüge aus Hassbriefen an Feingold und aus zeitgenössischen Filmen montiert. Darunter ein Lehrfilm für US-Soldaten (die Botschaft: Trau den Deutschen nicht!). Es sind auch Bilder aus Konzentrationslagern dabei: Luftaufnahmen vom KZ Auschwitz, Aufnahmen von der Befreiung Buchenwalds – doch die Toten sieht man nicht. Gut. Diese Bilder dürfen nie ihren Schrecken verlieren, weil man sie zu oft gesehen hat. Feingolds Schilderungen sind schrecklich genug.

Renner wollte keine „KZler“

„Wahrscheinlich hält mich der Zorn am Leben“, sagt er. Den Zorn sieht man am stärksten, wenn er über das geschönte Selbstbild der Österreicher spricht: Er sah 1938 die Massen auf dem Heldenplatz mit eigenen Augen. Unnachgiebiger geht er mit der Zeit nach 1945 um. In Buchenwald hätten sie nach der Befreiung gewartet, dass sie nach Hause gebracht würden. Niemand kam. Sie organisierten Busse, durften aber nicht nach Wien fahren: Der damalige österreichische Staatskanzler, Karl Renner, „hat zu Befehl gegeben, keine Juden und keine KZler nach Wien durchzulassen“. Feingold ging nach Salzburg, wo er mitbekam, welche Karrieren die ehemaligen Nazis machten. Hier macht der Film deutlich, dass das Jahr 1945 keine Zäsur war – für die Täter nicht und nicht für die Opfer. Feingold selbst hat mit über hundert Jahren noch regelmäßig Albträume vom KZ.

„Ich bin so lang nicht fertig, solang Menschen das, was mir passiert ist, leugnen“, sagt er. Die traurige Wahrheit: Er wäre in tausend Lebensjahren nicht fertig.

„Marko Feingold: Ein jüdisches Leben“, aktuell im Kino

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