Analyse

Was wusste, schrieb, entschied Sebastian Kurz?

Bundeskanzler Sebastian Kurz streitet alle Vorwürfe ab.
Bundeskanzler Sebastian Kurz streitet alle Vorwürfe ab. APA/HERBERT NEUBAUER
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An den Vorwürfen der WKStA sei strafrechtlich nichts dran, betonte der Bundeskanzler. Ein Faktencheck mit dem Beweismaterial der Korruptionsermittler.

Zwei Botschaften hatte Sebastian Kurz, als er sich am Mittwochabend in das TV-Studio der „ZiB 2“ setzte. Erstens: Was ihm die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vorwirft, sei falsch. An der Verdachtslage sei nichts dran. Und zweitens: Sollte es wirklich zu problematischen Handlungen gekommen sein, dann würden sie das Finanzministerium betreffen. Nicht ihn.

Auf 104 Seiten argumentiert die WKStA ihre These. Das Papier war die Grundlage für die Hausdurchsuchungen, die am Mittwoch unter anderem bei der ÖVP und im Kanzleramt stattfanden. In dem Dokument zeichnen die Ermittler die Rolle nach, die Kurz ihrer Meinung nach in der Causa spielt. Welches Bild ergibt sich also?

Zur Erklärung: Der Kanzler und ÖVP-Chef ist Beschuldigter eines Korruptionsdeliktes. Die WKStA ermittelt gegen ihn und andere neun Personen. Es geht um den Verdacht der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung – je nach Person mit unterschiedlichen Beteiligungsformen. Die Vorgänge sollen 2016 begonnen haben. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. „Ich weiß nicht, wieso ich schon wieder verantwortlich sein soll. Ich war damals weder Parteichef noch Kanzler“, sagte Kurz dazu im ORF.

Die These der Justiz

Die Argumentation der Justiz: 2016 war Reinhold Mitterlehner zwar noch ÖVP-Chef. Aber Kurz wollte die Partei übernehmen. Dabei sollten positive Umfragewerte helfen. Aber wer konnte die Studien finanzieren? Nicht die Partei – sie wurde ja von Mitterlehner geführt. Also soll Kurz einen anderen Weg gesucht haben: über Thomas Schmid, damals Kabinettschef im Finanzministerium.

Die Ermittler glauben also, dass das Finanzressort mit Steuergeld Befragungen bezahlte, die eigentlich nur einen parteipolitischen Nutzen hatten – für Kurz. Außerdem sei über Scheinrechnungen abgerechnet worden. Über die damalige Familienministerin, Sophie Karmasin, habe man eine Meinungsforscherin, Sabine B., beauftragt. Sie lieferte die Umfragen und stimmte laut Ermittlern die Fragestellungen vorab mit Kurz-Vertrauten ab.

Und dann hätte es laut WKStA noch Absprachen mit Wolfgang und Helmuth Fellner gegeben. Die Mediengruppe Österreich sollte die Umfragen gezielt streuen – im Gegenzug für üppige Inserate. Zusätzlich sei B. als unabhängige Expertin aufgetreten, um die Studien zu präsentieren. Die Mediengruppe bestreitet die Vorwürfe vehement, wie auch die anderen Beschuldigten.

Am 6. März 2016 informiert Schmid laut Ermittlern den damaligen Außenminister Kurz, dass er Sophie Karmasin treffen werde – damals Familienministerin. Einige Tage später schreibt Schmid an Kurz: „Gute News bei der Umfrage Front. Sophie weiß ich nicht ob ich überreden konnte.“ Antwort Kurz: „Kann ich mit ihr reden?“

Am 6. September schreibt Schmid an Kurz von „echt coolen News“: „Die Gesamte Politikforschung im Österreich wird nun zur B. wandern. Damit haben wir Umfragen und Co im besprochenen Sinne.“

Vor dem ÖVP-Parteitag

Wenige Tage vor dem ÖVP-Parteitag im Jänner 2017 – Mitterlehner ist nach wie vor Obmann – werden wieder Nachrichten ausgetauscht, die sich im WKStA-Papier finden. Karmasin erkundigt sich bei Schmid, wer mit ihr den neuesten Fragebogen für eine Umfrage abstimmen soll. Ein Pressesprecher des Finanzministers soll es machen. Als die Ergebnisse der Befragung da sind, schickt sie der Pressesprecher an Schmid. Schmid fragt, ob sie eh so sind, wie „wir“ wollen. Die ÖVP liegt bei 18 Prozent. Dann schreibt Schmid an Kurz: „Umfrage am Sonntag müsste alles passen.“

An diesem Tag berichtet „Österreich“: „ÖVP im Umfrage-Keller“. Daneben gibt es ein Interview mit Meinungsforscherin B.: „VP würde von Kurz-Wechsel profitieren.“ Am Abend schreibt Kurz an Schmid: „Danke für Österreich heute.“ Antwort Schmid: „Immer zu Deinen Diensten.“

Im ORF sagte Kurz am Mittwoch dazu: „Dass ich über ein Umfrageergebnis vorab informiert wurde, das ist alles andere als strafrechtlich relevant.“ Die Ermittler vermuten allerdings, dass es eben parteipolitische Absprachen zwischen Kurz, seinem Umfeld, der Meinungsforscherin, dem Finanzministerium und „Österreich“ gab – bezahlt mit Geldern aus dem Finanzressort.

„Sonst wird es unglaubwürdig“

Schmid hält, so die Theorie der WKStA, weiterhin Kontakt mit den Fellner-Brüdern. Und offenbar Kurz auf dem Laufenden: „Hi Sebastian, war mit beiden Fellners essen. Kannst du kurz reden?“, schreibt er im Mai 2017. Dann sendet Schmid Umfrageergebnisse an Kurz: „Daten von uns.“ Auch in einer Nachricht vom September 2017 schreibt er von „unseren Umfragen“.

Im September tauschen die beiden wieder Nachrichten aus: „Neue Werte! Call me Mr Umfrage“, schreibt Schmid. Kurz antwortet: „Danke dir! Gar nicht so super, oder?“ Schmid erwähnt dann, dass er „mit dem Rechnen aufpassen“ müsse – „sonst wird es unglaubwürdig“. Die Ermittler vermuten, dass das Ergebnis der Umfragen verändert werden sollte.

Und was sagt Kurz dazu, dass der vorhin erwähnte Pressesprecher teils Fragebögen, teils Inhalte von Interviews mit Sabine B. besprach? „Das ist mein jetziger Pressesprecher. Damals war er Pressesprecher vom Finanzministerium. Den habe ich damals kaum gekannt“, sagte Kurz im ORF. Tatsächlich wechselte er im Sommer 2017 aus dem Finanzressort in die Bundespartei als Sprecher von Kurz – und nachher ins Kanzleramt. Im Oktober 2017 schreibt Schmid dem Sprecher über eine Umfrage: „Sebastian hat das heute Sophie gesagt, die kann nur keine Aufträge geben.“ Auch im März 2018 werden laut Ermittlern mit dem Sprecher Fragebögen abgeklärt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2021)

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