Wetterbedingte Störeinflüsse aufgrund des Klimawandels
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Das Management von Naturgefahren

Der Klimawandel stellt die Bahninfrastruktur vor gewaltige Herausforderungen. Bei der Planung für die Zukunft müssen neue Wetterphänomene berücksichtigt werden. In Kooperationsprojekten mit Hochschulen und Partnern aus der Privatwirtschaft ist die ÖBB-Infrastruktur AG gefordert, Verkehrskonzepte und Entscheidungsprozesse neu zu denken.

Wetterbedingte Störeinflüsse für den Bahnbetrieb, die früher eine Ausnahme bildeten, werden durch den voranschreitenden Klimawandel zur Regel. Im Winter reichen die Auswirkungen großer Schneemengen, die in wenigen Tagen anfallen, von einzelnen Weichenstörungen bis hin zu Streckensperren aufgrund von Lawinenabgängen. Regen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt führt zu starken Vereisungen an den Oberleitungen, beschädigt die Bügel auf den Loks und kann Leitungsrisse zur Folge haben. Im Sommer bewirken Temperaturschwankungen von 35 Grad untertags und 15 bis 20 Grad nachts Probleme bei Gleisen (Verwerfungen) und Weichenumstellungen.

Dazu kommen immer häufiger auftretende Starkregenereignisse, die die Gefahr von Unterspülungen der Gleiskörper oder von Murenabgängen bergen. Immer heftiger werden ebenfalls die Stürme und als Konsequenz herabstürzende Baumteile, die Oberleitungen beschädigen. Ähnliches gilt für Gewitter. Welche verheerenden Folgen daraus resultieren, zeigt das jüngste Beispiel eines Blitzeinschlags auf der Brennerachse in das Stellwerk von Verona in Italien: Bis nach Deutschland kam es zwei Monate lang zu enormen Verspätungen.

Pünktlich in stürmischen Zeiten

Aktuell zählen die ÖBB zu den pünktlichsten Bahnen in Europa. Regelmäßig erreichen die rund 6500 Personenzüge täglich 96 Prozent aller Halte zum vorgesehenen Zeitpunkt. Damit das auch in Zeiten sich verschärfender Wetterextreme so bleibt, muss zum einen die Infrastruktur für den Klimawandel fit gemacht werden: Kanäle und Dämme als Schutz vor Starkregen, Lawinengalerien als Schutz vor Muren und Lawinen, die Entfernung von Bäumen aus dem Nahbereich der Gleisanlagen und der Einsatz von noch robusterer Technik. Zum anderen gilt es, die Betriebsführung und Störungskonzepte neu zu denken. „In Österreich haben wir die Situation, dass Züge in der Regel über sehr weite Strecken verkehren und wir geografisch bedingt kaum Umleitungsstrecken haben. Ohne entsprechende Maßnahmen würden sich so Störungen an einer Stelle unweigerlich über ganz Österreich ausbreiten“, erläutert Hannes Penninger, Leiter der Betriebsführung.

Hannes Penninger, Leiter der Betriebsführung: „Auf dem 5000 km umfassenden Schienennetz der ÖBB-Infrastruktur AG und den mehr als 1000 Bahnhöfen und Haltestellen kann jederzeit etwas Unerwartetes passieren. Pünktlichkeit muss täglich neu erarbeitet werden.“
Hannes Penninger, Leiter der Betriebsführung: „Auf dem 5000 km umfassenden Schienennetz der ÖBB-Infrastruktur AG und den mehr als 1000 Bahnhöfen und Haltestellen kann jederzeit etwas Unerwartetes passieren. Pünktlichkeit muss täglich neu erarbeitet werden.“ (c) ÖBB-Infrastruktur AG

Ein Lösungsweg bestehe darin, einzelne Verkehrsachsen bei größeren Störungen zu isolieren. „Für die Zukunft planen wir Verkehrskonzepte, die resilienter werden“, so Penninger. Ein möglicher Ansatz wäre das Schaffen von Hubs, an den Verkehre entkoppelt werden – sei es durch Umsteigen oder längere Pufferaufenthalte, wie sie etwa im Flug- und Busverkehr bereits üblich sind. Wappnen will man sich bei den ÖBB übrigens auch vor einem Blackout, sprich einem länderübergreifenden und Tage andauernden Ausfall der Stromversorgung. Einen Beitrag dazu leisten bereits jetzt die acht Bahnstrom-Wasserkraftwerke der ÖBB, die dafür Sorge tragen, dass die Fahrgäste im Fall des Falles zumindest sicher in die Bahnhöfe und Haltestellen gebracht werden.

Dienstleistungen für das Ökosystem

Dass die Reaktionen auf wetterbedingte Risiken vorausschauend geplant werden müssen, weiß auch Christian Rachoy, der bei den ÖBB für das Naturgefahrenmanagement bei der Infrastruktur zuständig ist: „Wir bereiten die ÖBB-Infrastruktur auf das Wetter der Zukunft vor und machen dies im Rahmen verschiedenster Projekte mit Partnern wie der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), heimischen Universitäten oder Experten aus der Privatwirtschaft.“ Als Beispiel führt Rachoy das seit Juni 2019 laufende Projekt clim_ect (Projektkoordinator: Technische Universität Wien, Projektpartner: Universität für Bodenkultur Wien, ZAMG) an.

Gearbeitet wurde in den letzten zwei Jahren an der Erarbeitung von konkreten Maßnahmenvorschlägen zur Klimawandelanpassung für die ÖBB-Infrastruktur AG, um künftig schädliche, wetterinduzierte Wirkungen möglichst gering zu halten. Für Abschnitte des ÖBB-Schienennetzes wurden Schadereignisse der Vergangenheit analysiert, um die bevorstehende Entwicklung von meteorologischen Phänomenen und deren Auswirkungen abschätzen zu können. Die Verschneidung der meteorologischen Daten mit Wetterbeobachtungen und mit der konkreten kleinräumigen Bezugsebene erlaubt es, Aussagen zur Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadereignisses zu tätigen. Dies bietet die Grundlage, Gefährdungskorridore entlang der ÖBB-Personen- und Gütertransportwege zu identifizieren – und mit Präventivmaßnahmen entsprechend darauf zu reagieren.

Christian Rachoy, ÖBB Naturgefahren-Experte, zuständig für das Naturgefahrenmanagement, bereitet die ÖBB-Infrastruktur in verschiedensten Partnerprojekten auf das Wetter der Zukunft vor.
Christian Rachoy, ÖBB Naturgefahren-Experte, zuständig für das Naturgefahrenmanagement, bereitet die ÖBB-Infrastruktur in verschiedensten Partnerprojekten auf das Wetter der Zukunft vor.(c) privat

Das betrifft nicht nur die Anpassung von Gleisen, Stahl oder Elektronik für Sicherungstechnik. Die ÖBB-Infrastruktur AG hat sich etwa auch mit dem Thema Baum zu befassen. „Der zunehmende Hitzestress führt dazu, dass Bäume austrocknen, morsch werden und sterben. Damit sinkt der Schutzeffekt, den Wälder in bergigen Gegenden vor Lawinen, Muren und Steinschlag bieten. Auch die deutlich ansteigende Waldbrandgefahr stellt eine Gefahr für Bahnstrecken dar“, erklärt Rachoy. Im Projekt clim_ect wurde deshalb ein umfassender Maßnahmenkatalog mit Strategien entwickelt, die die Ableitung von Schutzkonzepten (zum Beispiel Schutzwaldmanagement und Wahl von Baumarten, die der Hitze besser trotzen) erlauben. Künftig gilt es, die Erhaltung der Schutzwirkung von Schutzwäldern derart zu gestalten, dass durch ein gezieltes Vegetationsmanagement die Gleissicherheit gewahrt wird. Der Einsatz von Ökosystemdienstleistungen zur Naturgefahrenprävention wird somit zugleich das Risikomanagement für die ÖBB-Infrastruktur AG optimieren.

Intelligente Aktionsprozesse

„Wichtig ist vor dem Szenario der zu erwartenden Wetterphänomene auch die Unterstützung der Mitarbeiter vor Ort, die Krisen mit einem ,Werkzeugkasten‘ an Entscheidungstools und genormten Vorgängen besser bewältigen können“, so Rachoy, der in diesem Zusammenhang auf ein weiteres Projekt verweist. „INGEMAR“ steht für „Intelligentes Naturgefahrenmanagement- und Risikobeurteilungssystem“ und soll durch die Kombination von Prognosen, technischen Maßnahmen und lokalem Wissen das Naturgefahrenmanagement auf eine neue Ebene heben. Die Aufgabestellung des Projekts (ÖBB Kooperation mit dem alpinen Dienstleistungsunternehmen Lo.La Peak Solutions, dem Technischen Büro für Kulturtechnik und Wasserwirtschaft RIOCOM und dem Institut für Geographie der Universität Innsbruck) lautet:

»Konzeption einer intelligenten Methodik, um Naturgefahrenprozesse seriös beurteilen, Naturereignisse rechtzeitig erkennen und adäquate Maßnahmen zum Schutz von Infrastruktur und Personen treffen zu können.«

Gestartet wurde das Projekt mit einem Aufbau im Wissensmanagement. Ziel war es herauszufinden, wie das Thema Sicherheit bei der ÖBB-Infrastruktur AG konkret gelebt wird, sprich in welchen Organisationsstrukturen gearbeitet wird und wie der Informationsfluss funktioniert. Beispielgebend war der Prozess der Arbeiten der ÖBB Lawinenkommissionen, der auch als Blaupause für andere Naturgefahrenprozesse dienen soll. In weiterer Folge setzte man sich im Rahmen von INGEMAR mit den Naturgefahrenprozessen bei den Themenfeldern Hochwasser, Oberflächenwasser, Mure und Steinschlag auseinander. Erarbeitet wurde dabei eine erste Vereinheitlichung des angedachten Idealprozesses, der sich in die drei Phasen Warnung/Information, Arbeiten/Tätigkeiten und Kommunikation teilt.

„Dieses Prozessdenken wird im Anschluss gemeinsam mit den in das Projekt eingebundenen Anlagen-Service-Center-Standorten St. Johann im Pongau und Spittal an der Drau im Rahmen von Workshops gefestigt und praxistauglich evaluiert“, erklärt Rachoy. Auf Basis dieser Ergebnisse wird in einem finalen Schritt ein erster Prototyp entwickelt, der die Methodik und die Prozessphasen digital aufzeigt. Der innovative Ansatz von INGEMAR soll schließlich mit den Organisationsstrukturen der ÖBB-Infrastruktur AG abgeglichen werden, damit die neue Methodik auch nachhaltig im Unternehmen integriert werden kann. „Wir erwarten uns davon, in Zukunft noch besser auf Naturgefahren vorbereitet zu sein und vor allem effizienter – proaktiv wie reaktiv – handeln zu können“, so Rachoy.

Information

Als umfassender Mobilitäts- und Logistikdienstleister haben die ÖBB im Jahr 2020 insgesamt rund 287 Millionen Bahnkunden und über 95 Millionen Tonnen Güter klimaschonend und umweltfreundlich an ihr Ziel gebracht. Denn der Strom für Züge und Bahnhöfe stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien. Die ÖBB gehören mit 96 Prozent Pünktlichkeit im Personenverkehr zu den pünktlichsten Bahnen Europas. Mit Investitionen von über drei Milliarden Euro jährlich in die Bahninfrastruktur bauen die ÖBB der Bahn von morgen. Konzernweit sorgen 42.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (davon 2000 in internationalen Tochterunternehmen) bei Bus und Bahn sowie zusätzlich mehr als 2000 Lehrlinge dafür, dass täglich rund 790.000 Reisende und 870 Güterzüge der ÖBB sicher an ihr Ziel kommen.

Weitere Informationen unter: unsereoebb.at

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