Kino

"Curveball": Sperrt die Spione bloß nicht ins Büro

Raus aus dem tristen Agenten-Alltag: Dr. Wolf (Sebastian Blomberg) und Rafid Alwan (Dar Salim).
Raus aus dem tristen Agenten-Alltag: Dr. Wolf (Sebastian Blomberg) und Rafid Alwan (Dar Salim). [ Polyfilm ]
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„Curveball“ ist die leider wahre Geschichte deutscher Agenten, die den Irakkrieg mitanzettelten. Ein ruhiger Thriller, eine gar nicht grelle Farce – kurios, bitter, gelungen.

Gegen Ende gibt es dann doch noch eine Actionszene. Eine flotte Flucht mit der Rodel durch die weiße Pracht von Oberammergau – James Bond lässt kichernd grüßen, auf bayerisch. Aber davor ist alles braun oder grau, bieder und trostlos: staubige Landstraßen im Irak. Dunkel getäfelte Büros für frustrierte Beamte, die sich kleinlich um Karrieren rangeln. Karge Wohnungen privat gescheiterter Existenzen.

Als wollte man junge Menschen von ihrem Berufswunsch abbringen: Bewerbt euch nur ja nicht beim deutschen Auslandsgeheimdienst, das ist der ödeste Job, den man sich denken kann. Zumal er einen kollektiven Minderwertigkeitskomplex fördert: Die germanischen Schlapphüte drehen an ihren Schreibtischen Daumen, sie haben gegen die übermächtige CIA nichts zu vermelden, was ihnen die amerikanischen Kollegen auch deutlich zeigen. Was aber, wenn sich doch eine Chance auftut, sich zu profilieren? Dann fallen sie vor lauter voreiliger Euphorie auf den erstbesten Hochstapler rein. Und machen sich mitschuldig an einem ungerechten Krieg mit Hunderttausenden Toten.

„Curveball“ ist die vierte Regiearbeit von Johannes Naber, der 2014 mit seiner Wirtschaftsberater-Satire „Zeit der Kannibalen“ Erfolg hatte. Die konsequente Antithese zum gewohnten Agentenfilm erzählt eine wahre Geschichte, „leider“, wie es schon im Vorspann heißt. Es ist die cineastische Aufarbeitung eines handfesten Skandals: Im Jahr 1999 bot sich ein irakischer Asylwerber dem Bundesnachrichtendienst als Informant an. Er behauptete, als Ingenieur in die Produktion von Anthrax involviert gewesen zu sein. Damals gingen alle westlichen Geheimdienste davon aus, dass Saddam Hussein heimlich Biowaffen herstellt. Aber weil das bekanntlich nicht stimmte, tappten alle im Dunkeln, und der BND schnappte gierig nach dem Knochen. Rafid Alwan bekam, was er forderte, Pass und Wohnung. Und, als sich seine Hinweise als erfunden herausstellten, auch noch jahrelang ein Gehalt als Schweigegeld. Die Schröder-Regierung vertuschte die Blamage, nur die CIA wusste Bescheid. Nach 9/11 aber war den Amerikanern jede Lüge willkommen, um eine Invasion zu rechtfertigen. Und Außenminister Powell präsentierte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die leicht aufgehübschte Skizze Alwans von angeblichen mobilen Labors auf Lastwagen, vor den ungerührten Augen seines deutschen Kollegen Fischer.

Von ehrlicher Sorge zu blinder Rache

Solches Originalmaterial mischt Naber in die Spielfilmhandlung. Auch sie folgt über weite Strecken den Fakten. Imaginiert ist die Hauptfigur, der Biowaffenexperte Dr. Wolf (Sebastian Blomberg als melancholischer Loser). Er lässt sich vom falschen Informanten (Dar Salim als ausgekochtes Schlitzohr) an der Nase herumführen. Amüsant der von Ruhmsucht getriebene, beim Absägen skrupellose Vorgesetzte Schatz, für den Thorsten Merten den deutschen Filmpreis Lola als bester Nebendarsteller erhielt.

Der ganze Film schaffte Bronze. Er beginnt als überraschend ruhiger Thriller im Mieselsucht induzierenden „Tatort“-Setting. Erst allmählich häufen sich satirische Überzeichnungen, gleiten die Fakten hinüber zur Farce, die sich nie grellbunt färbt, sondern in Pastellfarben verbleibt. So spiegelt der Tonfall des Films den Duktus der Realität – wie die ehrliche Sorge vor einem hochgerüsteten Diktator sich nach den Attentaten zu einem blindwütigen Rachefeldzug auswuchs, der auf Lügen gründete. Heute, zwei Jahrzehnte später, kann man über die fatale Dummheit der Verantwortlichen lachen. Wenn auch nur pietätvoll leise – und eben dazu lädt Nabers gelungenes Werk auch ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2021)

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