Jeden Dörfler freut es, wenn endlich ein Mächtiger sein verdientes Schmalz bekommt. Kurze Betrachtungen zur politischen Fallhöhe.
In den Logen des Gegengiftes, die sich den darstellenden Künsten verschrieben haben, wurde diese Woche lang und breit über die Fallhöhe diskutiert. Logisch. Seit unsere teure Regierung mehrfach die Pandemie faktisch für beendet erklärt hat, gibt es so viel Theater wie selten zuvor. Das hat sogar die benachbarten Klubs angesteckt, die wesentlich politischer denken. Deren Mitglieder wollen von uns nun wissen, wo sich das Rad des Schicksals radikaler von ganz oben nach ganz unten dreht: in den Komödien oder Tragödien?
In postdramatischer Zeit kann man nur ausweichend antworten. So etwas wissen nicht einmal führende Regisseure und schon gar nicht die Figuren raffinierter Stücke, vor allem, wenn es um die Macht geht. Da glaubt etwa König Lear, er sei in einem Weihespiel – schon irrt er als Obernarr unter Narren auf der Heide, während die Welt um ihn herum verrücktspielt.
Das Publikum weiß zwar meist rasch, warum einer der Großen fällt, aber nicht, wann. Was sind die Indizien dafür? Die Ursache ist bei Lear sofort klar. Ein König, der bei seinem ersten Auftritt mitteilt, dass er sein Reich aufteilen und das Geschäft des Regierens lassen werde, ist bald König gewesen. Zu tausend Prozent geht er ab. Schwieriger ist zu deuten, was er am Ende mitteilt: Im Quarto von 1608 sagt er bloß „O, o, o, o“. Der Mann erleidet offenbar gerade einen Herzinfarkt. In der Folio-Ausgabe von 1623 brüllt er (und das kann man wahrlich ekstatisch spielen): „Look on her! Look, her lips! Look there, look there!“ Zuseher, die zur Transzendenz neigen, sind wahrscheinlich bereit zu sagen: Der fällt doch gar nicht! Der ist bereits auf dem Weg nach ganz oben.