Gastkommentar

Fortschritte gibt es nur zu Fuß

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1983 hat Wien das Relikt der Reichsautobahn, die S1, gestrichen. Dass das Projekt nun wieder auftaucht, widerspricht jeder Logik.

Michael Lohmeyer liefert in seinem Text „Von der Reichsautobahn zum Lobau-Tunnel“ („Die Presse“ vom 14.9.2021) eine kompakte Darstellung der Reaktionen der Politik des letzten Jahrhunderts auf das Privatauto, dessen Faszination man erlegen ist. Heute ringt die automobile Gesellschaft nach diesem fossilen Extrakt wie ein Erstickender um Luft und wird dabei sogar handgreiflich, wie es aktuelle Bilder aus London zeigen. Ob der Gesellschaft bewusst wird, in welche Abhängigkeit sie geraten ist, kann bezweifelt werden. Autoverkehr ist kein Naturereignis, sondern von Menschen gemacht.

Ein Symbol für den Fortschritt. Paradox, wenn man weiß, dass sich der Mensch in dieser Bewegungsprothese festgebunden und nahezu bewegungslos transportiert. Weniger als ein Schritt wäre hier gefährlich. Berührt man die Fußpedale zur falschen Zeit und am falschen Ort, kann das für die Insassen, aber auch alles, was auf seinem Weg liegt, tödlich enden. Fortschritte gibt es in der realen Welt nur zu Fuß. Mit dem Auto fährt man weg, heute oft ein Gerät von zwei Tonnen auf Rädern, das sich vorwiegend flüssig ernährt und bei der Verdauung gefährliche Abgase ausscheidet. Im Wechselspiel mit 100 PS identifizieren wir uns mit dem Auto, das so auf die ältesten Schichten unseres Stammhirns wirkt, nahezu mühelose Fortbewegung ermöglicht und dabei Atavismen weckt.

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