Wärme

Wie das Wiener Kanalsystem Energie liefert

(c) imago images/Rupert Oberhäuser
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Es brodelt in unterirdischen Tunnels – und heizt Wohnungen, Verwaltungsgebäude und Büros. Abwasser gilt seit drei Jahren als erneuerbare Energie. Weil seine Ausgangstemperatur oft über jener von Erdwärme, Grundwasser oder Außenluft liegt, lässt es sich besonders effizient nutzen.

Einst wurde Orson Welles alias Harry Lime im Nachkriegsfilm „Der dritte Mann“ von der Polizei durch das Wiener Kanalnetz gejagt. Jetzt schickt sich das rund 2500 Kilometer lange Tunnelsystem unter der Donaumetropole an, auf andere Weise für Schlagzeilen zu sorgen: Teile des Abwassers, das hier tagtäglich in Richtung Kläranlage Simmering geschwemmt wird – pro Stunde sind das rund 20.000 Kubikmeter –, werden als Energiequelle verwendet. Nutznießer ist vorerst die Wien-Kanal-Zentrale im 23. Bezirk, die damit beheizt und gekühlt werden soll. Weitere Vorhaben sind geplant.

„Wir machen aus schmutzigem Abwasser saubere Energie“, fasst Ulrike Rabmer-Koller, Geschäftsführerin der Rabmer-Gruppe aus Altenberg bei Linz, das Prinzip zusammen. Ihr Unternehmen ist für die technische Umsetzung mitverantwortlich und optimiert das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten. Zur Dekarbonisierung und zum Erreichen der Klimaziele kann das Projekt ein wertvoller Beitrag sein: Immerhin werden rund drei Viertel des Energieverbrauchs im Gebäudesektor hierzulande für Heizung, Kühlung und Warmwasseraufbereitung verwendet. Und dafür werden derzeit fast ausschließlich CO2-kritische Energiequellen herangezogen. Abwasser gilt seit nunmehr drei Jahren offiziell als erneuerbare Energie. „Das hat der Technologie einen Innovationsschub gegeben, der die nunmehrigen Vorhaben möglich macht“, sagt Rabmer-Koller.

Die Wärme aus dem Wasser gewinnen

IN ZAHLEN

Wie die Energiegewinnung funktioniert? Ein Wärmetauscher wird in den Kanal gelegt, das Abwasser läuft darüber und gibt einen Teil seiner Temperatur an ein zwischen der Doppelwand des Wärmetauschers liegendes Medium und in weiterer Folge an eine Wärmepumpe weiter. Diese bringt es anschließend auf die erforderliche Zulauftemperatur, beispielsweise für eine Fußbodenheizung. „Das Abwasser weist eine konstante Temperatur zwischen zwölf und 18 Grad auf, auch im Winter“, so Rabmer-Koller. „In der Nähe von Industriebetrieben oder Wäschereien ist es sogar noch wärmer.“

Diese hohe Ausgangstemperatur, die über jener von Erdwärme, Grundwasser oder Außenluft – den üblichen Energiequellen von Wärmepumpen – liegt, mache seine Nutzung so interessant, da die Wärmepumpe wesentlich effizienter arbeitet und daher selbst wenig zusätzliche Energie benötigt. Um ein Gebäude im Sommer zu kühlen, wird Wärme in den Kanal zurückgeleitet.

Damit die Energiegewinnung aus dem Kanal umsetzbar ist, bedarf es einiger Voraussetzungen: „Der Kanalabschnitt muss einen Rohrdurchmesser von mindestens 40 Zentimetern aufweisen, die Durchflussmenge muss wenigstens zehn Liter pro Sekunde betragen, und die Entfernung zwischen Entnahmestelle und Abnehmer darf bei kleineren Anlagen nicht mehr als 300 Meter, bei größeren maximal 900 Meter betragen“, sagt Rabmer-Koller. Wirtschaftlich sinnvoll sei Abwassernutzung, wenn damit der Bedarf von zumindest 40 Wohnungen gedeckt werden kann. Die Leistung, die die Wien-Kanal-Zentrale benötigt, entspricht jener von rund 200 Haushalten. „Das System erlaubt aber auch die Einspeisung überschüssiger Wärme ins Fernwärmenetz“, so die Expertin.

Das Prinzip wurde andernorts bereits umgesetzt: In Amstetten (NÖ) beispielsweise heizt Abwasser-Energie das Stadtwerkezentrum. Aufgrund der hohen Wassertemperatur muss die Wärmepumpe hier nur in den Wintermonaten zum Einsatz kommen. Als eines der nächsten Projekte in Wien wird ein Büro- und Einkaufszentrum, das auch 200 Wohnungen beherbergt, im zwölften Bezirk mit Energie aus dem Kanal versorgt. Die Fertigstellung soll in zwei Jahren erfolgen. Ein anderes Vorhaben betrifft ein Hotel, wobei die Energie zum Betrieb der Wärmepumpe besonders nachhaltig mithilfe einer Fotovoltaikanlage erzeugt wird. Rabmer-Koller denkt überdies an die Nutzung von Abwässern aus Kläranlagen mit hohem energetischen Potenzial. Forschungsprojekte dazu laufen.
Im „Dritten Mann“ ist der Wiener Kanal bloß eine – wenngleich spektakuläre – Hintergrundszenerie. Die Gewinnung nachhaltiger Energie könnte ihn in Sachen Klimaschutz jetzt in den Vordergrund rücken.2500Kilometer – davon 1700 begehbar – lang ist das Wiener Kanalnetz. Das entspricht der Entfernung von Wien nach Kairo.

6500 Kilometer misst das Netz der Hauskanäle, von dem aus das Abwasser in das öffentliche Kanalsystem fließt.

6 Sammelkanäle vereinen die Mischwasserkanäle und Bäche in Wien. Insgesamt 400 Mitarbeiter von Stadt Wien – Wien Kanal sind für die Kontrolle und Instandhaltung des Kanalsystems verantwortlich.

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