Glaubensfrage

Messias-Erwartungen in der Politik? Das kann nur schiefgehen

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Kanzler Kurz wurde und wird von Adoranten als politischer Messias gesehen. Das kann nur schiefgehen. Genauso wie die Überhöhung von Päpsten übrigens.

Österreich ist wichtig. Nein, das wird kein verfrühter, pathosgetragener Nationalfeiertagstext. Österreich ist plötzlich wieder wichtig, um in internationalen Medien wahrgenommen zu werden. Der Herbststurm um den Bundeskanzler brachte nicht nur den Amtsträger zum Teil-Rückzug. Er wirbelt die politische Szenerie durcheinander.

Person und Wirken von Sebastian Kurz haben eigentlich seit Beginn seiner politischen Laufbahn bei den einen verbissene Gegnerschaft, bei anderen bedingungslose Anbetung entstehen lassen. Ähnlich wie der einstige FPÖ-Parteichef Jörg Haider hat er wie kein anderer – mit Ausnahme Kurt Waldheims, nur das ist eine ganz andere Geschichte – das Land polarisiert. In der ÖVP galt und gilt er als politischer Messias. Nach den jüngsten Enthüllungen und strafrechtlichen Verdachtsmomenten fühlen sich viele enttäuscht. Dabei sind messianische Erwartungen an Politiker unerwachsen und unangebracht.

Unangebracht sind (da nehmen wir rasant die Kurve) übersteigerte Heilserwartungen auch an irdische Etagen der religiösen Sphäre. Womit wir bei Papst Franziskus sind. Er polarisiert nicht nur im Vatikan auch in seltenem Maß. An diesem Sonntag wieder. Diesmal provoziert er nicht wenige seiner Mitarbeiter mit der Eröffnung jenes synodalen Weges, den die Weltkirche zwei Jahre gehen soll. Die Fragen, die er stellt und beantwortet sehen will, scheinen für Österreich läppisch: Wo und wie werden Laien gehört? Wo und wie werden Laien in Entscheidungen eingebunden? Wie gelingen der Dialog mit und das Lernen (!) von Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Armen? Aber selbst in manchen Teilen Europas, in der Slowakei oder in Polen beispielsweise, gelten solche Fragen wohl als absonderlich bis akademisch. In anderen Weltgegenden könnten sie als Provokation verstanden werden.

Dabei gründen sie im Wesentlichen auf den Fundamenten des Zweiten Vatikanischen Konzils, auf den Versuchen, die Kirche nicht zu einem Museum verkommen zu lassen. Vieles ist gelungen, nicht alles. Auch wenn die Öffentlichkeit, in Beschlag genommen durch innenpolitische Irrungen, kaum Notiz davon nehmen wird: Das Vorhaben von Papst Franziskus hat Potenzial, in die Kirchengeschichte einzugehen, die Gestalt der Kirche, ihr Auftreten zu ändern. Dafür muss man in Papst Franziskus keine quasi-messianischen Erwartungen haben. Immerhin besteht auch die Gefahr des Scheiterns. Wenn Benedikt mit seinem Rücktritt das Amt entmystifiziert hat, dann versucht Franziskus nun, es auf die Basis einer Kirche aufzusetzen, in der Hierarchien nicht abgeschafft, aber abgeflacht werden. Ortskirchen und Laien könnten (wieder) mehr Eigenverantwortung gewinnen. Und der Papst für sich und sein Amt mehr Freiheit.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2021)

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