Kulturbriefing: Fichten? Palmen!

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„Nirgends“, sagte Dorothy und schlug dreimal die Hacken ihrer roten Schuhe aneinander, „ist es so schön wie zu Hause“. Und schwupps, war sie...

„Nirgends“, sagte Dorothy und schlug dreimal die Hacken ihrer roten Schuhe aneinander, „ist es so schön wie zu Hause“. Und schwupps, war sie wieder daheim. Die Kinder seufzten selig, manch Mutter überdrehte die Augen. Ein richtiges Familienstück eben, der „Zauberer von Oz“ in der Volksoper. Bis auf die Moral von der Geschichte, ist es das tatsächlich, für österreichische Verhältnisse – jedes Kind versteht jedes Wort, schon einmal die halbe Miete. Die Inszenierung ist erstaunlich opulent, ein wenig Theaterzauber ohne Dekonstruktion wird der Brut also gegönnt. Allein das rührt einen ja fast schon zu Tränen. Vor allem, wenn man am nächsten Tag nach Palermo fahren darf, alleine. Zu Hause mag es schön sein. Anderswo ist es das aber auch. Im Süden allemal. In Palermo, immer.

Eva Schlegel hat dort ihre erste Augmented-Reality-Ausstellung verwirklichen können, in spektakulär ruinöser Freiluftkulisse und spektakulären Sphären-Kugeln, die man nur über seinen Handy-Bildschirm wahrnehmen konnte, Theaterzauber für Erwachsene, ungeahnter, lesen Sie am Montag mehr darüber in Ihrer „Presse“. Oder fahren Sie doch einfach selber hin. Schließen Sie einen Ausflug nach Gibellina an, so weit ist das nicht, dem unglaublichen Memento Alberto Burris für das von einem Erdbeben völlig vernichtete Dorf: Eine Betonwüste, durch die sich die ursprünglichen Gassen ziehen wie Ritzen in die Vergangenheit. „Il Cretto“ heißt dieses meditative Land-Art-Ungetüm, der Riss, der Sprung übersetzt. Saß ich also dort am heißen Stein, die nackten Füße ins Poröse gedrückt, und dachte an Cohen, Leonard: „There is a crack in everything. That's how the light gets in.“ Auch eine Art augmented, also erweiterte Realität.

In den „Due Palme“ gab es dann die einzige Pasta weit und breit, und gar keine so schlechte nicht, auch wenn der Ort eher nach einem Drive-In im tiefsten Amerika aussah. Passte irgendwie auch. Am Parkplatz überkam mich dann Heine, was er tatsächlich sehr selten tut, aber das musste wohl sein: „Ein Fichtenbaum steht einsam/Im Norden auf kahler Höh./Ihn schläfert; mit weißer Decke/Umhüllen ihn Eis und Schnee./Er träumt von einer Palme,/Die, fern im Morgenland,/Einsam und schweigend trauert/Auf brennender Felsenwand.“

Schon war ich wieder hier. Ganz ohne die Hacken zusammengeschlagen zu haben. Die Kolleginnen und Kollegen haben währenddessen sogar gearbeitet, someone hast o do this job, schließlich brummt die Wiener Kultur als wäre keine Pandemie nie gewesen. Sogar eine „Viennale“ findet wieder statt, sogar im Gartenbaukino, generalsaniert. Andrey Arnold hat zusammengefasst, was man sehen sollte, der Kartenverkauf beginnt morgen, Samstag.

In Studentinnenzeiten habe ich mich an diesem Tag immer artig angestellt am Kiosk im Schottentor. Ausgestattet mit einer fast schon pedantischen Film-Liste meines damaligen besten Freundes. Das dekadente Vergnügen, am Vormittag ins Kino zu gehen, hat mich schwer beeindruckt, außer Studenten und Filmkritikern gönnen sich das die wenigsten, mich überkommt sofort die Lust dazu. Wobei ich unschlüssig wäre, was ich sehen soll, am meisten reizt mich das Extreme, der neue Film von Gaspar Noé versprichts. Beim letzten, „Climax“, musste ich das Gartenbaukino allerdings vorzeitig verlassen, ich konnte es nicht ertragen. „Vortex“ scheint das Gegenteil von Noès üblichen Psycho- und Gewaltexzessen, ein Film über Altern und Sterben. Das muss dann auch wieder nicht sein. Es bleibt also schwierig.

Aber was ist schon einfach. Denken wir an die Schlange im Bosch-Weltgerichtstriptychon der Wiener Akademie, die endlich wieder eröffnet hat nach vier Jahren Sanierung: Ein sehr angesagtes indisches Kuratorenkollektiv nutzte die Freiheit, die man ihm gab, und machte aus diesem Schlängelchen kurzerhand einen Aal, Sinnbild sexueller Unentschlossenheit, was wohl selbst den äußerst fantasiebegabten Bosch erstaunt hätte. Schwierig auch die Kulturpolitik der NS-Zeit und das Nachleben vieler Nazi-Künstler und Mitläufer. Anne-Catherine Simon hat sich die neue Ausstellung des Wien Museums im Musa über „Kunst von Goebbels Gnaden“ informiert. Wolfgang Kos die über Hitlers „Gottbegnadete“ in Berlin.

Wenige Tage ist übrigens gerade der originale Eiserne Vorhang der Wiener Staatsoper zu sehen, den Rudolf Hermann Eisenmenger 1955 schuf, in der Musa-Ausstellung spielt der illegale Nazi und NS-Secessionspräsident eine nicht unwesentliche Rolle. Daher wird seit mittlerweile schon 24 Jahren dieser Vorhang mit zeitgenössicher Kunst überblendet, kommenden Donnerstag wird das neue Bild präsentiert, es stammt von der ersten lateinamerikanischen Künstlerin dieser Reihe, Beatriz Milhazes. 2019/20 war es Martha Jungwirths wütendes trojanisches Pferd, das hier prangte; die 81-Jährige hatte gerade ein fulminantes Ausstellungsdebüt in ihrer neuen Galerie Ropac in Paris. Ja, ich reise viel diesen Herbst. Selbst nach St. Marx. Heute abend  eröffnet dort in einem riesigen ehemaligen Autohaus der Neue Kunstverein Wien mit neuer Gruppenausstellung.

Womit wir in der beliebten Spalte Tipps und Tricks gelandet wären. Am Sonntag feiert das Kunsthistorische Museum seinen knackigen 130. Geburtstag – von 18 bis 22 Uhr bei freiem Eintritt. Im Leopold Museum spielt die Schauspielerin Maxi Blaha ab heute Abend ihre Alma-Mahler-One-Woman-Show – vor einem echten Kokoschka-Gemälde als Bühnenbild. Die irrste Ausstellungskulisse aber fand sich verlässlich in Linz, beim „Höhenrausch“ - das erfolgreichste Ausstellungsformat, das Österreich je gesehen hat, läuft dieses Wochenende nach über zehn Jahren endgültig aus. Dieses Wandeln über die Dächer muss schließlich ein Ende haben. Um Legende zu werden. Jetzt werde ich auch noch pathetisch. Schnell dreimal die Hacken aneinandergeschlagen, und fort ist,

Ihre Almuth Spiegler

almuth.spiegler@diepresse.com

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