Literatur

Der Deutsche Buchpreis geht an Antje Rávik Strubel - für einen fast makellosen Roman

Verleihung Deutscher Buchpreis 2021
Verleihung Deutscher Buchpreis 2021APA/dpa POOL/Sebastian Gollnow
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„Blaue Frau" wirkt wie maßgeschneidert für den Preis: Kunstfertig, sprachlich auf höchstem Niveau - und es behandelt gleich zwei aktuelle Themen.

Das Buch, das die Jury des Deutschen Buchpreises heute ausgezeichnet hat, spielt alle hochliterarischen Stückerln: Es ist bis in die letzten Details durchdacht, man nehme nur die raffiniert sich durchs Buch ziehende Beschreibung diverser Baumarten. Es lockt mit lauter gedrechselten Sätzen, da ist kein Adjektiv der Gedankenlosigkeit überlassen. Es spielt auf mehreren Ebenen ein raffiniertes Spiel mit Identitäten. Und es verhandelt ein, nein es verhandelt gleich zwei große Themen: Das Europa von Ost und West, das nicht zusammenwachsen will. Und die Gewalt gegen Frauen.

Adina, eine junge Tschechin, reist nach Berlin, um die deutsche Sprache zu lernen und um zu studieren, sie nimmt einen Posten in einem Gut in der Uckermark an – und wird vergewaltigt. Nicht von irgendwem. Es ist ein politischer Entscheidungsträger, der dort zu Gast ist und von dem sich der Gutsherr Subventionen erhofft – es geht doch um eine gute Sache, um die Belebung des Landstriches, der darniederliegt, vernachlässigt und ausgebeutet vom Westen, da ist so eine Förderung hoch willkommen. So gut ist die Sache, dass man Adina lieber nicht glaubt. Die flieht durch halb Europa, landet in Helsinki, wo ein Europa-Abgeordneter aus Estland sie unter seine Fittiche nimmt – bis auch er sie verrät. Strubel, 1974 in Potsdam geboren, zeichnet nach, wie sich eine gesamte Gesellschaft abwendet, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, wie jeder eine andere Ausrede findet, mit den Schultern zu zucken und weiter zu gehen, vorbei an einer verstörten und mehrfach gedemütigten jungen Frau.

Warum nicht Helfers „Vati“?

Wobei ausgerechnet die Stimme dieser Frau seltsam blass bleibt. Was an den allzu hochtönenden Dialogen liegen mag. Oder daran, dass Strubel ob all der Details, auf die sie zu achten hatte, das Ganze, die Geschichte eines Traumas, aus dem Blick geriet.

Die Entscheidung für „Zandschower Klinken“ von Thomas Kunst wäre mutiger gewesen, wenn auch der Buchhandel eher gestöhnt hätte, Experimentelles verkauft sich schließlich schwer. Für „Monika Helfers „Vati“ zu votieren, hätte bedeutet, eine sehr zurückhaltende Erzählweise auszuzeichnen. So zurückhaltend, dass sie wohl manchem wohl zu wenig kunstvoll erschienen wäre. „Identitti“ mit seiner Geschichte über eine gegen Rassismus kämpfende Professorin, die sich fälschlich als Woman of Color ausgibt, ist zwar inhaltlich interessant, aber sprachlich zu schwach. Norbert Gstreins männliche Selbstbefragung in „Der zweite Jakob“ trifft offenbar nicht den Zeitgeist und „Eurotrash“ ist einfach kein kohärentes Buch – da kam von Kracht schon Besseres. Mit „Blaue Frau“ konnte die Jury eigentlich nichts falsch machen – und das ist irgendwie schade.


Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau, 429 Seiten, € 24,
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

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