Quergeschrieben

Zuerst an den Pranger, dann erst vor Gericht

Die Chatprotokolle wurden auf der Bühne des Burgtheaters verlesen.
Die Chatprotokolle wurden auf der Bühne des Burgtheaters verlesen. (c) Lukas Beck
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Es gäbe brillante Literatur, mit der Martin Kušej das Publikum über den aktuellen Anlass hinaus sensibilisieren könnte. Die Verlesung der Chats zählt nicht dazu.

Beinahe so widerwärtig wie die machtgeile Hybris der einen ist dieser Tage die zur Schau getragene moralische Selbstgefälligkeit der anderen, die mit der Verlesung der Chatprotokolle auf der Bühne des Burgtheaters ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Selbst im Mittelalter wurden nicht die eines Verbrechens verdächtigten, sondern bereits von einem Richter verurteilten Menschen an den Pranger gestellt. Im 21. Jahrhundert funktioniert das offenbar anders herum: Zuerst der (sozialmediale) Schandpfahl, dann die Gerichtsverhandlung. Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich muss die WKStA ungehindert ermitteln können und strafrechtlich Relevantes vor Gericht bringen. Nicht nur die buchstabengetreue Einhaltung der Gesetze ist für Politiker zwingend, sondern auch ein ethisches Bewusstsein. Dass aber nun mutmaßliche Rechtsbrüche mit Rechtsbrüchen wie dem Leaken beschlagnahmter Chats und Smsereien geahndet werden, ist befremdlich.

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Worüber man zuletzt tatsächlich staunen konnte: Dass nicht immer vom Feinsten ist, wie sich Politiker gegenseitig titulieren, wenn sie glauben, es sei privat und niemand höre zu. Wobei der„Arsch“, mit dem Sebastian Kurz seinen Vorgänger in einem privat geglaubten Chat bedachte, eh nicht als Alleinstellungsmerkmal des ehemaligen türkisen Kanzlers auf dem Weg nach oben taugt. Bekanntlich ging der Neos-Abgeordneten Stefanie Krisper im Ibiza-Ausschuss gut hörbar auch so manche(s) auf den Popsch. Das an einen türkisen Abgeordneten adressierte „g'schissene Arschloch“ ihres Parteikollegen Helmut Brandstätter ist ebenfalls protokolliert.

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