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"The French Dispatch": Wes Anderson auf Tour de France

Wes Andersons "The French Dispatch".
Wes Andersons "The French Dispatch".(c) Disney
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Nach langer Corona-Verzögerung startet „The French Dispatch“, der neue Film von Wes Anderson, in heimischen Kinos: Ein Loblied auf literarischen Journalismus alter Schule.

Bei einer Diskussion im Zuge des diesjährigen New York Film Festivals meinte Michelle Hooper, Marketingchefin der auf Programmkinoware abonnierten Disney-Tochterfirma Searchlight Pictures, dass sie der nahenden Veröffentlichung des hauseigenen neuen Wes-Anderson-Films „The French Dispatch“ mit Argusaugen entgegensieht: Der Start sei für sie ein „echter, wahrer Test des spezialisierten Filmmarktes“, der von Corona ebenso heftig durchgerüttelt worden sei wie jener für Blockbuster.

Wes Anderson, das große Zugpferd des modernen Delikatessenfilms? Im Grunde kein Wunder: Wie kaum ein anderer Gegenwartsregisseur hat sich der 52-jährige Texaner darauf verstanden, seinen Stil zu einer Marke zu punzieren – ein unbezahlbares Talent im Zeitalter des allumfassenden Branding-Kults. Wer einen von Andersons Filmen gesehen hat, hat seine Bildsprache gemeinhin intus und abrufbar. Dann reicht bereits ein zentralperspektivisches Standbild (wie jenes, das diesem Artikel beigestellt ist), und die ganze wunderliche Anderson-Welt flammt im Hippocampus auf: die Guckkasten- und Wimmelbildästhetik, die drollig erlesene Farbpalette, der trockene Humor samt verkappter Dramatik. Das klappt nicht nur auf der großen Leinwand. Auch bei der Ausstellung, die Anderson 2018 zusammen mit seiner Partnerin Juman Malouf den Sammlungen des KHM abkuratierte – ein mit akribischer Assoziierwut zusammengewürfeltes Kuriositätenkabinett voller Depot-Schrulligkeiten –, wähnte man sich als Kenner seines Schaffens wie hinter Kinokulissen.

Im Laufe seiner Karriere (die mittlerweile ein knappes Vierteljahrhundert währt) hat Anderson seine Manier immer weiter ausgefeilt, sie wiederholt auf Animation umgemünzt oder in (aus US-Sicht) exotische Kulturkontexte versetzt: Indien („The Darjeeling Limited“), Japan („Isle of Dogs“), Stefan Zweigs „Welt von Gestern“ („The Grand Budapest Hotel“). Andersons Filme, erstellt mit einem stetig wachsenden Team aus Stammhandwerkern und -darstellern, wurden dabei immer ausgeklügelter, raffinierter, man könnte auch sagen: verkrampfter.

Auch in diesen Blättern saß der tendenziell abwertende Begriff „Puppenhaus“ zuletzt ziemlich locker, wenn ein neuer Anderson präsentiert wurde – etwa bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes, wo „The French Dispatch“ mit Covid-Verspätung im Juli Premiere feierte. Vielleicht auch, weil an der Croisette eine gewisse Anderson-Müdigkeit um sich zu greifen schien, ein Gefühl, all die Ausstattungsexzesse und gut geschmierten Handlungsuhrwerke endgültig sattzuhaben – trotz ihrer unleugbaren Kunstfertigkeit.

Zwischen Paris und „New Yorker“

Doch in Cannes sieht man viele Filme nur mit einem müden, vom Festivaltrubel getrübten Auge. Jetzt, da Andersons zehnte Arbeit „The French Dispatch“ am Donnerstag regulär in Österreich startet, muss man konstatieren, dass es doch wieder ein schöner und durchaus sehenswerter Film geworden ist; gesetzt den Fall, man ist dem Prinzip Anderson nicht kategorisch spinnefeind. Freilich, eine Neuerfindung bietet auch dieses Setzkastenstück nicht. Doch auf seine Weise entwickelt sich der detailverliebte Regisseur laufend weiter – im ziselierten Rahmen, den er sich selber steckt.

Dieses Mal ist es Andersons Wahlheimat Frankreich, die durch seinen ästhetischen Filter gepresst wird. Und zwar aus der Perspektive von Auslandskorrespondenten, die im typisch verschmitzt betitelten Städtchen Ennui-sur-Blasé eine (ausdrücklich) an die Hochzeiten des soignierten US-Magazins „The New Yorker“ angelehnte Zeitschrift betreiben. Entsprechend offeriert „Dispatch“ als Episodenfilm drei „Artikel“ zur Einsicht. Deren fiktive Autoren verlesen sie im Off, als Vortrag und im Interview, mit großer Liebe zum sprachlichen Ornament und zum pointierten Aperçu, während wir ihrer ausgefallenen Abenteuer ansichtig werden.

Da wäre die von Tilda Swinton mit sprödem Selbstbewusstsein verkörperte Kunstexpertin, die schnippisch über einen brummigen Outsider-Künstler (Benicio del Toro) und seine Gefängniswärtermuse (Léa Seydoux) referiert. Die stoische Vollblutreporterin (Frances McDormand), die mit zerdrückter Träne im Auge eine Anekdote aus dem Pariser Mai wiedergibt, in der sich eine ungestüme Jugend (darunter: Timothée Chalamet) auf den Straßenbarrikaden findet. Und nicht zuletzt ein abgeklärt weltgewandter James-Baldwin-Verschnitt (toll: Jeffrey Wright), dem ein Entführungsfall über Umwege lukullische Genüsse beschert.
Im Übrigen tummeln sich allenthalben Berühmtheiten in diesem Film, auch in Kleinstrollen – wer eine findet (etwa Christoph Waltz), darf sie behalten.

Als Collage historisch verbürgter Frankreich-Klischees ist „The French Dispatch“ beeindruckend, als Hommage an (Kultur-)Journalismus alter Schule zumindest sympathisch. Wie die Empfehlung des von Bill Murray gespielten Chefredakteurs an seine geliebten Schmierfinken: „Versuchen Sie wenigstens, so zu tun, als hätten Sie es absichtlich so geschrieben.“

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