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Energie und Polen im Fokus bei Merkels 107. EU-Gipfel

Angela Merkel am 14. Dezember 2006 beim EU-Gipfel in Brüssel mit dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn (übrigens immer noch im Amt) und dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), im Hintergrund, der damalige britische Premierminister Tony Blair.
Angela Merkel am 14. Dezember 2006 beim EU-Gipfel in Brüssel mit dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn (übrigens immer noch im Amt) und dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), im Hintergrund, der damalige britische Premierminister Tony Blair.APA
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Die EU-Staats- und Regierungschef erwartet eine harte Diskussion über Atomkraft. Aber auch Migration und Corona werden Themen sein.

In ihren 16 Jahren als deutsche Kanzlerin hat Angela Merkel an mehr als 100 Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder teilgenommen. Der für Donnerstag geplante EU-Gipfel sei das 107. Treffen mit Merkel, teilte ein Sprecher des Europäischen Rats am Mittwochabend mit. Die Zahl beinhalte sowohl formelle als auch informelle Gipfel ebenso wie Videokonferenzen. Und nun dürfte vermutlich ihr letzter am Programm stehen.

Der kommende Gipfel am Donnerstag und Freitag befasst sich mit der Energieversorgung vor dem Hintergrund steigender Gaspreise, erwartet wird dazu auch eine Diskussion über Atomkraft. Außerdem dürfte der Konflikt mit Polen den Gipfel beschäftigen. Für Österreichs Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) wird es hingegen der erst in seiner neuen Funktion sein.

Viele Themen am Programm

Die EU-Kommission hat als "Toolbox" gegen die rasant steigenden Energiepreise mehrere Maßnahmen vorgeschlagen, darunter Steuern senken, ärmeren Haushalten Geld zahlen und in erneuerbare Energien investieren. Es wird erwartet, dass der Gipfel darauf Bezug nehmen wird. Investitionen in Erneurbare und Gasspeicherkapazitäten in der EU sowie in Drittstaaten wie etwa der Ukraine dürften dabei im Vordergrund stehen.

In Ratskreisen hieß es, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die Regierungschefs mehrerer osteuropäischer EU-Staaten, die Nuklearenergie nutzen, wollten bei dem Gipfel eine Grundsatzdebatte über die Atomenergie anzetteln. Österreich betrachte Atomkraft weiterhin weder als nachhaltig noch als sicher und werde in diesem Fall entgegenhalten, hieß es weiter. Frankreich pocht darauf, Kernkraft als grüne Energie zu klassifizieren. Paris wird dabei von Bulgarien, Finnland, Kroatien, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn unterstützt.

Hintergrund ist die Taxonomie-Verordnung der EU, die im Zuge des Klimaschutzpakets "Green Deal" Richtlinien für grüne Finanzinvestments geben soll. Österreich hat in dieser Frage ein Rechtsgutachten ausarbeiten lassen, das belegen soll, dass die Erzeugung von Atomstrom in keine der Kategorien falle, für die ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz angenommen werden könne.

Informelle Gespräche mit Polen

Nicht offiziell auf der Tagesordnung steht der Rechtstaatlichkeits-Konflikt zwischen der EU-Kommission und Polen. Doch vor dem Hintergrund des harten Konfrontationskurses, den der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gegen die EU fährt, dürfte das Thema wohl beim Gipfel angesprochen werden. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will die milliardenschwere Corona-Hilfen für Polen solange blockieren, bis das Land bestimmte Justizreformen zurückgenommen hat.

Schallenberg hatte bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel vergangene Woche Unterstützung für das Vorgehen der EU-Kommission gegen Polen und für das Zurückhalten von EU-Geldern gezeigt. Das jüngste Urteil des polnischen Verfassungsgerichts stellt den Vorrang von EU-Recht infrage. "Ohne den Vorrang des Europarechts zerfällt dieses Gebilde, das ist eine brandgefährliche Entwicklung", sagte Schallenberg. Zugleich sprach er sich für einen Dialog auf Augenhöhe und gegen unterschiedliche Klassen von EU-Mitgliedschaften aus. Laut einem Bericht des Magazins "Politico" hat Merkel davor gewarnt, den EU-Rechtsstaatsmechanismus zum Einfrieren von Geldern zu aktivieren, bevor es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs dazu gibt.

Weitere Schwerpunkte des Gipfels werden die Migrationspolitik - insbesondere die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze - sowie die Bekämpfung der Corona-Pandemie sein. Die Europäische Union hatte Strafmaßnahmen gegen Belarus verhängt. Im Gegenzug kündigte der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko an, Migranten auf dem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten. Auch die Vorbereitung der Weltklimakonferenz Anfang November in Glasgow sowie des Asien-Europa-Gipfels (ASEM) Ende November steht auf der Tagesordnung.

Im Vorfeld des Gipfels hat Schallenberg von der Leyen und Michel besucht und mehrere bilaterale Telefongespräche mit Amtskollegen, darunter Merkel und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, geführt. Am Dienstag besprach er sich in einer Videokonferenz mit Michel, dem ungarischen Premier Viktor Orban, der finnischen Premierministerin Sanna Marin und dem bulgarischen Präsidenten Rumen Radew.

Schieder fordert Maßnahmen gegen hohe Energiepriese

Der SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder forderte den EU-Gipfel auf, eine Weichenstellung angesichts steigender Energiepreise, vorzunehmen. "Gemeinsam mit Wohnkosten sind steigende Energiekosten eines der größten Armutsrisiken", so Schieder. "Langfristig kann die EU durch Maßnahmen für bessere Energieeffizienz, gemeinsame Beschaffung und den Ausbau erneuerbarer Energien gegensteuern." Angesichts der Konfrontation der EU mit Polen sprach er sich für ein "neues Vertragsverletzungsverfahren und die konsequente Fortsetzung des Artikel-7-Verfahrens" aus.

"Die Etablierung einer EU-Binnenopposition darf den Morawieckis, Kaczynskis und Orbans nicht gelingen. Das würde sowohl den Zusammenhalt als auch das Werte-Fundament der Union zerstören", erklärten Monika Vana, Delegationsleiterin der Grünen im EU-Parlament, und Meri Disoski, stellvertretende Klubobfrau der Grünen. Vana forderte zudem, die Abhängigkeit Europas von fossilen Energieträgern und insbesondere von Energieimporten aus Russland und anderen autokratischen Staaten müsse kleiner werden.

Atomkraft sei "keine nachhaltige Option für die Energiegewinnung", "sondern hochgefährlich und abzulehnen", betonte ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig.

Die Neos-EU-Abgeordnete Claudia Gamon forderte einen "Neustart" Österreichs in der Europapolitik. Unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe "unser Ansehen in der Union großen Schaden genommen", so Gamon in einer Aussendung. "Österreich sollte sich der Initiative des liberalen Mark Rutte anschließen und sich eindeutig für die europäische Werteunion einsetzen."

Gipfel-Format seit 1975

Die erste Tagung des Europäischen Rats fand am 11. März 1975 in Dublin statt. Damals war das Treffen noch weit entfernt von seiner jetzigen Größe. Mit dem Beitritt Griechenlands am 1. Januar 1981 wurde die Zahl der Mitgliedsländer zweistellig. Seine vorerst größte Teilnehmerzahl erreichten die EU-Gipfel ab 2013, nachdem Kroatien als 28. Land dem Staatenblock beigetreten war. Seit dem Austritt der Briten treffen sich wieder die Staats- und Regierungschefs von 27 EU-Ländern.

(APA/dpa)

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