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Mavie Hörbiger Appell: All das ist mein Erbe!

Mavie Hörbiger bei der Verleihung der "Österreicherinnen des Jahres" am 20. Oktober 2021 in den Sofiensälen, Wien.
Mavie Hörbiger bei der Verleihung der "Österreicherinnen des Jahres" am 20. Oktober 2021 in den Sofiensälen, Wien. Mirjam Reither
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"Es reicht nicht, wenn wir sagen, wir dürfen nie vergessen. Wir müssen handeln", sagt die Schauspielerin Mavie Hörbiger und spricht damit auch das schwierige Nazi-Erbe des Burgtheaters - und ihrer eigenen Familie - an. Sie wurde als  "Österreicherin des Jahres" in der Kategorie Kulturerbe ausgezeichnet.

Österreicherin des Jahres. Kategorie Kulturerbe. Das ist eine schwerwiegende Auszeichnung.

Ein Erbe, meine Damen und Herren, kann man ausschlagen, ein Kulturerbe nicht.

Es ist kein Geheimnis, dass ich seit elf Jahren Mitglied des Wiener Burgtheaters bin. Um begreifbar zu machen, was Kulturerbe bedeutet, möchte ich Ihnen zehn Namen vorlesen, zehn Namen von früheren Mitgliedern des Burgtheater-Ensembles, zehn Namen von Angehörigen der großen, traditionsreichen Burgtheater-Familie:

Paula Wessely, meine Großtante, die im März 1938 „die Besiegelung der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich zutiefst“ begrüßte und 1942 in dem antisemitischen Nazi-Propagandafilm „Heimkehr“ die Hauptrolle spielte.

Attila Hörbiger, mein Großonkel, der im April 1938 erklärte, er und alle österreichischen Künstler seien „stolz und froh, am neuen großdeutschen Werk mitarbeiten zu können“, und würden sich „am 10. April einmütig zu unserem Führer bekennen“.

Paul Hörbiger, mein Großvater, der im März 1938 ebenfalls dazu aufrief, bei der Volksabstimmung für den Anschluss zu stimmen, und sich im letzten Kriegsjahr einer Widerstandsgruppe anschloss, wofür er von den Nazis zum Tode verurteilt wurde.

Werner Krauß, der in dem Nazi-Propagandafilm „Jud Süß“ gleich sechs verschiedene Juden als Zerrbild und Fratze des Bösen verkörperte, sich von Goebbels zum stellvertretenden Präsidenten der Reichskammer machen ließ, 1952 mit dem großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich geehrt wurde und 1954 den Iffland-Ring erhielt.

Otto Hartmann, der als Nazi-Spitzel mindestens drei Widerstandsgruppen von Künstlern und Intellektuellen auffliegen ließ, von denen infolge seines Verrats mindestens 13 hingerichtet wurden; der nach dem Krieg wegen seiner Nazi-Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt und 1957 von Bundespräsident Schärf begnadigt wurde.

Fritz Straßni, der seit 1909 zum Burgtheater-Ensemble gehörte und 1942 im KZ Theresienstadt ermordet wurde.

Lilly Karoly, die nach Auschwitz deportiert werden sollte, nach Jugoslawien fliehen konnte und bei ihrer Rückkehr 1946 im Burgtheater mit den Worten begrüßt wurde: „Jessas, was machst denn du da?“

Else Wohlgemuth, die 1938 emigrieren musste und 1946 bei ihrer ersten Vorstellung nach der Rückkehr am Burgtheater frenetisch gefeiert wurde.

Lothar Müthel, den Josef Goebbels von 1939 bis 1945 zum Burgtheater-Direktor machte, der 1951 Direktor der Städtischen Bühnen Frankfurt wurde, bevor er 1955 als Regisseur an das Theater in der Josefstadt zurückkehrte.

Rosa Albach-Retty, die sich öffentlich als „glühende Verehrerin von Adolf Hitler" bekannte und den Anschluss Österreichs euphorisch begrüßte.

Wolf Albach-Retty, ihr Sohn, der förderndes Mitglied der SS war und in dutzenden Nazi-Filmen den arischen Traummann verkörperte.

Alles rund um die Austria21:

Mehr zur Austria 21 der „Presse“ hier, in unserer heutigen Zeitungsbeilage und im Podcast „Presse Play“.

All das ist mein Erbe. lhr Erbe. Unser Erbe.

Wir können und dürfen uns ihm nicht entziehen. Dieses Erbe bedeutet Verantwortung und Verpflichtung. Und diese Verpflichtung bedeutet: Es reicht nicht, wenn wir sagen, wir dürfen nie vergessen. Wir müssen handeln. Wir müssen tätig sein. Wir müssen kämpfen, jeden Tag und jeden Moment. Gerade heute, gerade jetzt.

Wir müssen uns aktiv, entschlossen, klar und wissend gegen die wenden, die Kultur und Erbe umzudeuten versuchen. Gegen Rechtspopulisten, gegen Verschwörungstheoretiker, gegen Coronaleugner, gegen Rassisten, gegen Chauvinisten, gegen Demagogen und Simplifizierer.

Und wir müssen uns starkmachen für Aufklärung, Toleranz, Vielfalt, Menschlichkeit. Für eine Welt, die das Fremde nicht als Bedrohung, sondern als Selbstverständlichkeit sieht.

Das ist die Verpflichtung, die gerade unserem Kulturerbe erwächst.

Nehmen wir sie an. Sie, ich, wir alle. Damit wir irgendwann acht Millionen Österreicherinnen des Jahres in der Kategorie Kulturerbe haben.

Vielen Dank!

Mavie Hörbiger (* 1979) ist Schauspielerin und Mitglied des Burgtheater-Ensembles. Diese Dankesrede hielt sie bei der Auszeichnung zur Österreicherin des Jahres der „Presse“. Sie gewann in der Kategorie Kulturerbe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2021)

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