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Schätze aus verborgenen Kisten und verstaubten Dachböden

Laien sichern in Gemeinde-Topotheken wertvolles privates Kulturerbe.
Laien sichern in Gemeinde-Topotheken wertvolles privates Kulturerbe.Getty Images
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Mit alten Fotos hat es angefangen. Nun sind auf Privatinitiative 400 digitale Ortschroniken – sogenannte Topotheken – entstanden.

Geradezu jedes Bild ist willkommen. Das vom Wirtshaus, von der Badeanstalt, vom Rathaus genauso wie das Foto, das zeigt, wie einst Faschingskostüme geschneidert waren, oder jenes, auf dem zu sehen ist, welche Kicker im Fußballverein spielten. Die Topotheken machen den Blick in die Geschichte und hinter die Kulissen möglich.

„Es geht um die Sicherung des privaten Kulturerbes“, sagt die Sprecherin des Online-Archivs Topothek.at, Dagmar Weidinger. Eine Topothek sei ein „regional-historisches Nachschlagewerk, dessen Schwerpunkt auf der Sichtbarmachung von privatem historischen Material liegt“. Rund 400 Topotheken gibt es derzeit – und es werden ständig mehr. Vor Kurzem wurde ein Jubiläum gemeldet: Die historischen Dokumente aus Privatbesitz überstiegen die Zahl von einer Million. Pro Monat kommen etwa 9000 Bildaufnahmen dazu.

Die erste Topothek entstand vor elf Jahren. Die Idee dazu hatte der Wiener Grafikdesigner Alexander Schatek, der sein eigenes gesammeltes Material ordnen wollte. Zwei IT-Spezialisten richteten ihm eine Datenbank ein, in der die nunmehr eingescannten Fotos – alte Postkarten, Personenaufnahmen, Dokumente – geografisch und zeitlich verortet abgerufen werden können. Dieses digitale Nachschlagewerk imponierte den Vizebürgermeistern der Semmering-Gemeinde Breitenstein, die nun ihre Gemeindebürger aufriefen, alte, zuvor in verstaubten Kisten verwahrte Fotos für die erste Topothek bereitzustellen.

Damit begann eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Immer mehr Gemeinden wollten nun selbst eine auf Fotos aufgebaute digitale Ortschronik besitzen, zuerst in Österreich, dann auch in anderen europäischen Ländern. Dazu kam, dass die Topotheken in das Archivnetzwerk Icarus eingebunden wurden. Icarus umfasst Archive und wissenschaftliche Institutionen in 34 europäischen Ländern, in Kanada und den USA. In Österreich übernimmt der Verband die Einschulung von zwei Topothek-Koordinatoren pro Gemeinde, die unter anderem bezüglich des Datenschutzes und der rechtlichen Seite der Bildveröffentlichung instruiert werden.

Niederösterreich ist führend

Im Jänner 2017 ging bereits die 100. Topothek – jene der Weinviertler Gemeinde Großengersdorf – online. Rund die Hälfte der 400 digitalen Bildchroniken stammt aus Niederösterreich. Das kommt nicht von ungefähr, unterstützt doch das NÖ-Landesarchiv die Aktion sowie die mehr als 2000 Topothekar-Akteure im Land.

Wichtig ist die Ausstattung einer Topothek mit einer biografischen und einer zeitlichen Suchmöglichkeit sowie einer Schlagwortabfrage. Deswegen wird die Plattform häufig bei der genealogischen Abfrage benutzt oder bei der Altersfeststellung von Bauwerken. Jedes Foto erhält eine Datierung. Man kann also mittels eines Zeitschiebers das Jahr oder eine Zeitspanne eingeben. Dann werden alle in diesem Zeitbereich eingegebenen Fotos aufgerufen.

Jeder Interessent kann Einblick nehmen. Zuerst erfolgt die Information über die jeweilige Gemeinde. Dann noch ein Klick, und man ist mittendrin. So ist in der Topothek Großengersdorf das erste Auto – 1928, ein Lastwagen mit zahlreichen Erntearbeiterinnen – zu sehen. Auch spannend: eine Weinlese-Mannschaft im Jahr 1918. In der Prater-Topothek (ein Ausnahmefall unter den Gemeinden) tummeln sich wiederum alte und neue Szenen um das Ringelspiel oder die Geisterbahn. Das Riesenrad ist noch mit doppelt so vielen Kabinen wie heute abgebildet; seit der Zerstörung 1945 wird ja nur mehr jede zweite Aufhängung benutzt. Und auch die alte Reichsbrücke findet sich auf einigen Fotos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2021)

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