Literatur

Wenn die Naziband Bach spielt

Post-DDR-Fatalismus, soziale Tristesse in Thüringen und die rechtsextreme Szene: Der ungarische Autor László Krasznahorkai hat 400 Seiten in einen Satz gepackt. Die Spannung lässt dennoch bis zum Schluss nicht nach.

Florian Herscht und das ostdeutsche Provinzkaff Kana mit der Postleitzahl 07769, aus dem Herscht seine Briefe an Kanzlerin Angela Merkel schreibt, waren titelgebend für das neue Buch von László Krasznahorkai. Der ungarische Autor hat nicht nur in New York und Japan gelebt, sondern auch in Berlin und hat dort seinen Stoff recherchiert: den Post-DDR-Fatalismus, die soziale Tristesse in Thüringen und die dortige Neonazi-Szene. Bis in die genau gezeichneten Nebenfiguren hinein ist seine Vertrautheit mit diesem Milieu spürbar.

Doch die Postleitzahl 07769 ist in Deutschland nicht vergeben, und auch der Ort Kana existiert nicht – er lässt allenfalls Assoziationen zur biblischen Hochzeit von Kana aufblitzen. Das ist ein Signal und bedeutet: Diese Prosa ist nicht einfach ein Provinz-Panorama, sondern sozusagen tangential zur sozialen und politischen Realität geschrieben: Sie berührt sie zwar, zielt aber doch an ihr vorbei und über sie hinaus. Und so ist Florian Herscht mit vielen Realitäten der Arbeits-, Wohn- und Lebensverhältnisse aufgeladen, aber als naiver Tor doch auch eine Kunstfigur, die einen an Parzival denken lässt. Er ist ein naiver und gutgläubiger Mensch, ein „guter Junge“, der seine Jugend in einem Heim verbracht hat, aus dem er vom „Boss“ als billiger Schwarzarbeiter geholt wurde. In einem öden siebenstöckigen Plattenbau hat dieser Boss ihm eine Wohnung verschafft, und Herscht ist ihm dankbar wie einem Vater, er kann es nicht fassen, dass er jetzt zum ersten Mal eine eigene Wohnung hat und ein paar Dinge, die ihm gehören. Allerdings ist dieser Boss, ein Gebäudereiniger, der Herscht ausbeutet und erniedrigt, der Kopf der Neonazis von Kana.

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