Lernstile

Leistungswille wichtiger als Lerntyp

Visuell, auditiv, motorisch oder kommunikativ ist laut Experten beim Lernen nicht die Hauptfrage. Wichtig ist die Motivation.
Visuell, auditiv, motorisch oder kommunikativ ist laut Experten beim Lernen nicht die Hauptfrage. Wichtig ist die Motivation. Getty Images
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1975 postulierte der deutsche Systemforscher Friedrich Vester vier Lerntypen. Doch sind Konzepte wie dieses immer noch aktuell? Und welche Bedeutung haben sie in der Praxis?

Es gibt nach wie vor keinen empirischen Beweis, dass sich Menschen beziehungsweise Lernende tatsächlich in vier Lerntypen einordnen lassen. Bereits aus den 1970er-Jahren stammt dieses Konzept, wonach die Aufnahme von Wissen entweder über Hören, Sehen, Tun oder Kommunikation erleichtert wird. Doch immer noch halten sich diese Kategorien: „Naturgemäß sind wir daran interessiert herauszufinden, wie wir Dinge besser lernen. Unser Interesse an diesen Prozessen hat dazu geführt, dass wir in der Bildungsforschung diese Prozesse abstrahiert haben und Lerntypen beschrieben haben“, sagt Kathrin Otrel-Cass, Leiterin des Arbeitsbereichs „Lehren/Lernen und digitale Transformation“ an der Universität Graz. Die vier Lerntypen (visuell, auditiv, motorisch und kommunikativ) seien vor allem abstrakte Beschreibungen: „Der Mensch ist allerdings komplex und diese vier Sinnesbereiche sind bei allen unterschiedlich ausgeprägt.“

Skeptisch steht auch Franz Rauch den Vester'schen Lerntypen gegenüber. Er leitet die Universitätslehrgänge „Professionalität im Lehrberuf“ und „Bildung für nachhaltige Entwicklung – Innovationen in der LehrerInnenbildung“ an der Universität Klagenfurt. „Man ist nicht ein Lerntyp oder ein anderer. Vielmehr ist es sinnvoll, alle vier Richtungen gleichermaßen anzusprechen“, sagt der Experte.

Alternative Ansätze

Auch dazu gibt es Konzepte. Eines stammt beispielsweise vom amerikanischen Erziehungstheoretiker David Kolb. Gemäß seiner Theorie verläuft das Lernen in einem Kreislauf, bestehend aus Erfahrungen, Reflexion, Theoriebildung und Ausprobieren. Konkrete Erfahrungen im Hier und Jetzt bilden die Basis für Beobachtungen und Reflexion. Aus den Beobachtungen werden Theorien gebildet. Diese werden wiederum aktiv ausprobiert, es wird also experimentiert, wodurch man wiederum Erfahrungen macht. Ansätze wie diese „ähneln eher Konzepten des problemlösenden, forschenden, reflektierenden Lernens sowie Lernstrategien allgemein und unterscheiden sich deutlich vom Lerntypen-Konzept“, sagt Christoph Helm, Leiter der Abteilung Bildungsforschung an der Universität Linz.

Hartnäckige Fake News

Der Experte bezeichnet die vier Lerntypen nach Vester als pädagogische „Fake News“ – die sich hartnäckig halten: Internationale Studien sowie eine Studie der Pädagogischen Hochschule Steiermark aus dem Jahr 2019 zeigen, dass der Glaube an den hohen Stellenwert von Lerntypen für den Lernerfolg der Schüler sehr weit verbreitet ist. 97 Prozent der 670 befragten Lehramtsstudierenden meinten, dass „Schüler besser lernen, wenn ihnen Informationen entsprechend ihrem Lerntyp (z. B. visuell, auditiv, kinästhetisch) vermittelt werden.

Da Menschen die Fähigkeit besitzen, sich selbst zu reflektieren, sei es trotzdem äußerst hilfreich zu verstehen, welche Lernformate für den Einzelnen vorteilhaft sind, sagt Otrel-Cass: „Man wird sich bewusster wie, wann und unter welchen Voraussetzungen man lernt und kann dadurch selbst viel dazu tun, Lernerfolge zu erleben. Das ist vor allem eine sehr motivierende Erfahrung, und Motivation braucht man, um Dinge nachzuverfolgen.“ Beim Lehrumfeld ist deshalb die Vorlesung die am wenigsten lernförderliche, sagt Rauch: „Wenn man die Situation mit einer Tagung vergleicht, ist der Diskurs zwischen einzelnen Vorträgen das wirklich Wichtige.“ Lernen hat für ihn mit Interaktion und kollektivem Austausch zu tun, auch mit Feedback. Und er verweist auf die neun Intelligenzbereiche des amerikanischen Erziehungswissenschaftlers Howard Gardener. Dieser definiert Intelligenz als eine Anzahl von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die notwendig sind, um Probleme zu lösen oder Schwierigkeiten in einem bestimmten kulturellen Umfeld zu überwinden. Dazu gehört auch die Fähigkeit, (neue) Probleme zu erkennen und damit den Grundstein für den Erwerb von neuem Wissen zu legen. In seinen Studien hat er etwa die logisch-mathematische, die bildlich-räumliche und die interpersonelle Intelligenz gefunden.

Für Lernerfolg nicht relevant

Das Wissen um den eigenen Lerntyp habe kaum einen Einfluss auf das eigene Lernen oder den eigenen Lernerfolg, erklärt Helm: „Zwar zeigen Studien, dass Lernende durchaus in unterschiedliche Typen hinsichtlich ihrer Präferenzen für visuelles, auditives und kinästhetisches Lernen eingeteilt werden können, allerdings liegen keine wissenschaftlich belastbaren Studien vor, die einen bedeutenden Zusammenhang zwischen diesen Lerntypen und dem Lernerfolg der Schüler belegen würden.“ Für das Lernen seien andere Aspekte wie Motivation und Willenskraft, Unterrichtsqualität und soziale Herkunft viel bedeutsamer. „Ein junger Mensch aus einer bildungsfernen Familie wird eventuell mehr Schwierigkeiten haben, durch kommunikative Formate zu lernen, in denen eine abstrakte Sprache verwendet wird. Vielleicht ist aber dieses Kind durchaus kommunikativ veranlagt“, ergänzt Otrel-Cass.

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