Glaubensfrage

Wiens Kirche war schon einmal mutiger

Papst Franziskus I. bei der Generalaudienz in der Audienzhalle im Vatikan
Papst Franziskus I. bei der Generalaudienz in der Audienzhalle im Vatikan (c) imago images/ULMER Pressebildagentur (ULMER via www.imago-images.de)
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Vielfalt steckt in der Kirchen-DNA. Das zeigen die Diözesen damit, wie sie Vorgaben des Papstes zu einem Gesprächsprozess umsetzen oder ignorieren. Wien stellt alle in den Schatten.

Ein Bischof ist ein mächtiger Mann. Schon, schon, der Einfluss auf Politik und Gesellschaft ist heute deutlich geschwächt. Bedingt ist die Entwicklung nicht nur, aber doch auch in einem beträchtlichen Ausmaß durch eigenes Versagen. Aber in seiner Diözese regiert ein Bischof wie ein Fürst, noch immer.

Selbst ein anerkannter Kardinal und Metropolit könnte – rein theoretisch gesprochen – seine Hände nur zum Gebet falten, wenn in seiner Kirchenprovinz ein anderer Bischof auffällig wird. Auffällig autonom, um nicht zu sagen völlig unkoordiniert, agieren Österreichs Bischöfe bei der Umsetzung des vom Papst verordneten synodalen Prozesses. Sie wirken weniger als trittsichere Hirten denn als (um im Bild zu bleiben, nicht um Würdenträger zu beleidigen) in alle Richtungen stobende Schafe.

Mehrere Diözesen, Graz, Eisenstadt beispielsweise, haben immerhin Online-Befragungen gestartet oder sind knapp davor, wie Innsbruck. Dabei wird auch das sensible Thema „Teilhabe“, also Beteiligung, Möglichkeiten der (Mit-)Entscheidung, zaghaft angesprochen. Andere gehen bequemere Wege. Dabei gelingt es ausgerechnet Wien, alle anderen in den Schatten zu stellen. Und das, obwohl deren Chef, Kardinal Christoph Schönborn, im Vatikan, im Synodenrat nämlich, eng mit Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung befasst ist.

Die Wiener sind offenbar müde (oder zermürbt?) von ihren einschlägigen Prozessen und ergebnisarmen Delegiertenversammlungen der vergangenen Jahre. Daher wird das Vorhaben umgedeutet zu einer Art Aufarbeitung der Erfahrungen der Pandemie. Die Stellungnahme aus dem Bischofsrat liest sich so: „Deshalb die Einladung, die Synodalität, zu der der Papst uns einlädt, in einer Auswertung der Coronazeit zu üben, um auf diese Weise gemeinsam hinzuhören, welcher Anruf des Geistes Gottes in dieser Zeit der Krise deutlich wird.“ Knapp daneben ist auch vorbei.

Dabei kann Wien auch mutig sein. Erst am Samstag stand einer der Anwälte des Konzils im Zentrum von Feierlichkeiten: Weihbischof Helmut Krätzl. Der 90. Geburtstag war Anlass für eine Dankesmesse im Stephansdom. Krätzl erlebte als Stenograf das Konzil hautnah mit. Er galt allgemein als logischer Nachfolger Kardinal Franz Königs, dem er – Vatikan-logisch – nicht nachfolgte. Seine Träume von Kirche hat er in mehreren Büchern formuliert. Er warb für „eine Kirche, die sich vorurteilslos dem Dialog mit der Welt stellt“, „eine Kirche, die in ihren Reihen all das vorzuleben versucht, was sie zu tun rät“. Bischöfe sollten ihre „Leitungsvollmacht in der Diözese voll wahrnehmen und nicht auf Ermächtigungen aus Rom warten“ (alles aus: „Im Sprung gehemmt“). Das war vor 23 Jahren. Das Warten will kein Ende nehmen. Auch Papst Franziskus wartet.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2021)

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