Unterwegs

Wie Moskau und ich das Radfahren entdeckten

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Als auch der dritte Radfahrer, der mir entgegenkommt, kurz mit dem Kopf nickt und lächelnd an mir vorbeisaust, stutze ich. Seit wann lächeln Moskauer?

Ich trete weiter in die Pedale und stelle bald fest, dass nur die lächeln, die ein eigenes Rad haben und einen Helm tragen. So als wollten sie mir beim Vorbeifahren sagen: Hey, du gehörst dazu!

Dabei wollte ich eigentlich gar nicht zu Moskaus Radlern gehören. Radfahren schien mir jahrelang nur für die Lebensmüden der Stadt zu sein. Für Menschen, die sich in blinkende Leuchtketten einmotten, damit sie ja nicht von den mit 100 Stundenkilometern rasenden Autofahrern übersehen werden, wenn sie sich auf zehnspurigen Stadtstraßen abstrampeln. Ich aber liebe mein Leben und vertraue auf meine Füße, die Metro, den Bus.

Dann aber sollte das eigene Kind in den Kindergarten. Am einfachsten – richtig – mit dem Rad zu erreichen. Ich beschloss also, doch lebensmüde zu werden. Und schon lächelt Moskau. Die Stadt hat das Radfahren natürlich vor mir entdeckt. Leihräder gibt es hier seit 2014. Das Fahrrad, dem stets etwas Behäbig-Provinzielles anhing, ist längst zu einem Ausdruck urbaner Modernität geworden. Mit Kind auf dem Rad ist man jedoch weiterhin an jeder Ampel das Gesprächsthema Nummer eins: „Wie wird der Sitz angebracht?“ – „Was sollen die Helme?“ Fahrradhelme gelten vielen Russen als „Kopf-Verschönerung“. Der Wachmann im Büro lacht jedes Mal, wenn ich mit dem Teil in der Hand das Gebäude betrete. „Können Sie immer noch nicht Rad fahren?“ Zuletzt aber kam uns eine Familie auf Rädern entgegen, mit Kind im Sitz. Wir nickten einander zu – und lächelten.

E-Mail: aussenpolitik@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2021)

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