Ab 2022 ist assistierter Suizid möglich, gegen voreiligen Todeswillen gibt es einige Hürden. Doch was, wenn er behebbare seelische Gründe hat?
Eine kleine undichte Stelle vergrößert sich aufgrund einer Kettenreaktion rasant, bis die ganze Schutzmauer von Wasser und Schlamm zerstört ist – so verläuft ein Dammbruch. Erst im Sommer haben uns Bilder aus deutschen Überschwemmungsgebieten nahegebracht, was frühere Generationen in Österreich oft nur aus Theodor Storms Erzählung „Der Schimmelreiter“ gekannt haben.
Den metaphorischen Dammbruch beschworen manche, als der Verfassungsgerichtshof vergangenen Dezember das generelle Verbot der Suizidbeihilfe aufhob. Es verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, hatten Befürworter einer Liberalisierung der Sterbehilfe argumentiert – und recht bekommen. Der Beschluss tritt Ende dieses Jahres in Kraft, bis dahin muss der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für straffreie Suizidbeihilfe festgelegt haben.
Angenommen, es ginge hier um gefährdete Dämme: Dann hätte die Regierung mit dem zur Begutachtung vorgelegten Gesetzesentwurf zumindest einiges dafür getan, um sie eine Zeit lang zu stärken. „Sterbenswillige“ Erwachsene und entscheidungsfähige Todkranke oder unheilbar Schwerkranke mit „nicht anders abzuwendendem Leidenszustand“ benötigen demnach zwei ärztliche Gespräche, eines davon durch einen ausgebildeten Palliativmediziner. Darin muss es auch um Alternativen und Hilfsmöglichkeiten gehen. Falls die Ärzte Hinweise auf eine psychische Störung als Grund für den Todeswunsch sehen, muss das psychiatrisch bzw. psychologisch geklärt werden. Danach müssen mindestens zwölf Wochen vergehen (außer in der terminalen Phase). Erst danach ermöglicht eine Sterbeverfügung den Bezug eines Suizidpräparats in sich bereit erklärenden Apotheken. Für Hilfeleistungen zu werben ist verboten, und niemand, auch kein Arzt oder Apotheker, darf dazu gezwungen werden oder durch sein Nein Nachteile haben.
Das erstaunlichste Manko dabei: Keine verpflichtende psychologische Begutachtung und Beratung sind vorgesehen. Obwohl Altersdepression schwer zu erkennen ist. Obwohl Umfragen aus anderen Ländern zeigen, wie sehr Einsamkeit ein Mitgrund für den Wunsch nach Sterbehilfe ist. Wenn das nicht korrigiert wird, bleibt nur die fragile Hoffnung, dass Ärzte im Zweifelsfall einmal mehr Psychologen heranziehen.
Die beste Nachricht am neuen Sterbehilfe-Paket: Parallel zu dem Gesetz wird die Finanzierung der Hospiz- und Palliativversorgung stark erhöht. Vor allem von dieser wird gutes Sterben (soweit das möglich ist) künftig abhängen.