Der ökonomische Blick

Experimente für eine bessere Welt

Muriel Niederle
Muriel Niederle© Manuel Amador
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Die Universität Wien ehrt mit Muriel Niederle eine Ökonomin, die durch ihre Experimente dazu beiträgt Leben zu retten, Menschen zu besseren Jobs zu verhelfen, und eine Welt mit mehr Gendergerechtigkeit zu schaffen.

Muriel Niederle wurde kürzlich für ihr Lebenswerk von der  wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien mit der renommierten Oskar-Morgenstern Medaille ausgezeichnet. Die an der Universität Wien und in Harvard ausgebildete und heute an der Universität Stanford als Professorin tätige Ökonomin hat Bedeutendes zur Grundlagenforschung beigetragen, insbesondere zur Entwicklung von Methoden der experimentellen Wirtschaftsforschung. Sie hat aber auch höchst praxisrelevante Beiträge zum effizienteren „Design“ von Märkten und zur Verbesserung der Gendergerechtigkeit geleistet.

In ihren Arbeiten zum Design von Märkten untersucht sie, unter welchen Bedingungen dezentrale Märkte gut funktionieren, wann sie versagen und was man tun kann, um sie zu verbessern. Niederle hat insbesondere Märkte studiert, in denen man nicht einfach wählen kann, was man haben will, sondern man muss von der anderen Marktseite auch gewählt werden („two-sided matching markets“). Dies trifft auf viele Arbeitsmärkte zu. Niederle hat gezeigt, dass man durch Senden von „glaubwürdigen Signalen“ das „matching“ auf solchen Märkten verbessern kann.„Der ökonomische Blick“ ist ein Blog, der aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen behandelt. Er entsteht in Kooperation mit der Nationalökonomischen Gesellschaft (NoeG) und der Presse. Jede Woche erscheint eine neue Ausgabe. Mehr: diepresse.com/oekonomischerblick

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Besonders bemerkenswert sind Niederles Beiträge zur Verbesserung von Märkten für das matching von Gastroenterologen (das sind Fachärzte für das Verdauungssystem), die sie gemeinsam mit Alvin Roth, einem Nobelpreisträger des Jahres 2012, geleistet hat. Die Effizienzsteigerung dieser Märkte ist ihr durch eine Kombination von spieltheoretischer Analyse, Laborexperimenten, der Kenntnis institutioneller Details, Pilotprojekten und langen Diskussionen mit Praktiker*innen gelungen. Die so verbesserte Zuordnung von Ärzt*innen mit ihren speziellen Profilen und Talenten auf für sie passende Spitäler stärkt sowohl die Leistungsfähigkeit der Ärzt*innen als auch der Spitäler. Die Verbesserung solcher Märkte ist daher in gewissem Sinne eine Frage von Leben und Tod.

Niederles bekannteste Arbeiten befassen sich mit Fragen der Gendergerechtigkeit. Diese Arbeiten identifizieren zunächst, weshalb Männer und Frauen auf Arbeitsmärkten unterschiedlich abschneiden. Sie nutzen dieses Wissen dann, um evidenzbasierte und treffsichere Maßnahmen zu entwickeln, welche solche Ungleichheiten reduzieren und gerechtere Arbeitsmarktergebnisse hervorbringen sollen.

Muriel Niederle trägt zu einer sachlichen und empirisch informierten Diskussion über Geschlechterdifferenzen bei, indem sie wissenschaftlich fundiertes, d.h. robustes und replizierbares Wissen bereitstellt. Dies leistet Niederle u.a. im Handbook of Experimental Economics. Dort führt sie aus, dass Geschlechtsunterschiede bezüglich „Kompetitivität“ (d.h. der Bereitschaft, sich einer Wettbewerbssituation auszusetzen) ausgeprägt und robust sind. In einer im Quarterly Journal of Economics publizierten Arbeit zeigt Niederle mit zwei Kollegen aus Amsterdam, dass im Labor erhobene Maße der Kompetitivität hohe externe Validität aufweisen, da sie die Karrierewahl von holländischen Maturand*innen gut voraussagen: Wer sich im Labor als kompetitiv erwiesen hat, wählte später tendenziell auch anspruchsvollere und prestigeträchtigere Studien – und diese Tendenz war bei Männern ausgeprägter. Weshalb diese Unterschiede in der Kompetitivität bestehen bzw. wie sie reduziert werden können, ist Gegenstand der laufenden Forschung.

In einer in Management Science erschienen Studie zeigt Niederle mit zwei Kolleginnen, dass Frauenförderung durch Quoten für Frauen die Gesamtproduktivität der Angestellten steigern kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Quote hochproduktive Frauen, die sich ohne Quote nicht dem Wettbewerb gestellt hätten, motiviert sich zu bewerben.

Unterschiedliche Arbeitsmarktergebnisse zwischen den Geschlechtern können durch viele Faktoren bedingt sein, nicht bloß durch Unterschiede in den (Wettbewerbs-) Präferenzen. Sie können auch durch Diskriminierung und unbewusste Vorurteile („implicit biases“) entstehen. In einer kürzlich vom National Bureau of Economic Research publizierten Studie zeigt Niederle mit einer Gruppe von Koautor*innen, dass die „Seminarkultur“ in den Wirtschaftswissenschaften oft für Frauen nachteilig ist. Frauen wurden demnach bei Vorträgen aggressiver, häufiger und früher unterbrochen als Männer. Es steht zu vermuten, dass diese übermäßig aggressive Kultur dazu beiträgt, dass talentierte Frauen die wissenschaftliche Karriere eher an den Nagel hängen als Männer („leaky pipeline“), was zur ausgeprägten Männerdominanz in den Wirtschaftswissenschaften beitragen mag. Diese Studie wurde zwar in den USA durchgeführt, doch die Seminarkultur sollte auch an österreichischen Universitäten genau beobachtet werden. Auch hier gilt es, eine übermäßig aggressive und Frauen benachteiligende Seminarkultur entschieden zu bekämpfen.

Der Autor

Jean-Robert Tyran ist an der Universität Wien tätig. Er ist dort Professor für Volkswirtschaftslehre, Direktor des Vienna Center for Experimental Economics und Vizerektor für Forschung und Internationales.

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