Mentale Gesundheit

"Jugendliche brauchen Party wie Essen und Trinken"

Die Presse/Clemens Fabry
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Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen wurden in der Pandemie ignoriert - mit alarmierenden Auswirkungen, warnen Unicef und die Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Junge Österreicher sind dabei häufiger betroffen als im europäischen Durchschnitt.

18 Prozent der österreichischen jungen Menschen lebt mit einer psychischen Erkrankung oder Beeinträchtigung, Suizid ist unter Jugendlichen in Europa die zweithäufigste Todesursache, nur durch Verkehrsunfälle kommen noch mehr ums Leben. Es sind alarmierende Zahlen, die ein neuer Unicef-Bericht über die psychische Gesundheitssituation der europäischen Kinder und Jugendlichen zitiert. Und sie dürften sich in der Zwischenzeit noch verschärft haben, denn sie stammen von 2019.

„Wir hatten schon vor der Pandemie eine Krise der psychischen Gesundheit“, nun aber würden die Alarmglocken noch lauter schrillen, sagte Corinna Geißler von Unicef-Austria bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. Österreich liegt mit 18 Prozent oder 160.000 betroffener Kindern zwischen 10 und 19 Jahren sogar über dem europäischen Durchschnitt. Mehr als die Hälfte leiden unter Depressionen oder Angststörungen. Nur 36.000 davon sind aber derzeit in Behandlung. Werde das Thema weiterhin ignoriert, seien schwerwiegende Folgen für die Gesundheit und das weitere persönliche und berufliche Leben der Kinder und Jugendlichen vorprogrammiert, sagte Geissler.

Unicef - "The State of the World’s Children 2021"

Das werde wiederum auch die Gesamtgesellschaft spüren, sagt Geißler. Berechnungen der London School of Economics gehen davon aus, dass die psychischen Probleme junger Menschen in Folge von Covid zu einem gesellschaftlichen Verlust für Ökonomien von knapp 390 Milliarden US-Dollar führen werden. „Trotzdem geben Regierungen nur rund 2,1 Prozent ihres Gesundheitsbudgets für mentale Gesundheit aus. Das zeigt uns, wo angesetzt werden muss“, sagte Geißler.

Party heißt Entwicklung

Kinder und Jugendliche seien in der Pandemie vergessen worden, sagt auch die klinische Psychologin und Geschäftsführerin der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, Caroline Culen. Durch das Homeschooling und das zu Hause eingesperrt sein hätten wichtige Entwicklungsprozesse nicht stattfinden können: „Der Abnabelungsprozess von Zuhause, sich in sozial unbekannten Netzen bewegen, Werte herausbilden“, für diese Bedürfnisse habe es wenig Aufmerksamkeit geblieben. Stattdessen habe man Jugendliche oft verurteilt, die sich trotzdem mit Freunden getroffen hätten. „Jugendliche brauchen Party wie Essen und Trinken“ für ihre Entwicklung, sagt Culen. 

Doch auch bei jüngeren Kindern habe sich die Pandemie massiv ausgewirkt. Eine Studie der Tirol Kliniken mit Kindern unter zwölf Jahren zeigte zwar beim ersten Lockdown noch eine gewisse Entlastung, da Schulstress wegfiel. Je länger die Pandemie dauerte, desto häufiger wurden etwa Schlafstörungen, Bauchweh, Kopfschmerzen und Ängste bei Kindern.

Eineinhalb Jahre sei für Kinder und Jugendliche eine enorm lange Zeit, sagte Culen, in der Perspektiven und die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft bei vielen verloren gegangen sei. Die Klimakrise spiele in diese herrschende Angst vor der Zukunft noch mit hinein.

„Zeit heilt nicht alle Wunden"

Die österreichische Regierung habe erst reagiert, als die Psychiatrien Anfang 2021 laut aufgeschrieben hätten - für Culen viel zu spät. Auch der Unternehmer und Jugendbotschafter Ali Mahlodji rief dazu auf, die Probleme nicht nur akut, sondern nachhaltig anzugehen. Und zwar so schnell wie möglich, und nicht erst, wenn die Jugendlichen erwachsen seien. „Die Zeit heilt nicht alle Wunden, die Zeit ist hier ein ziemlicher Gegner. Wenn man nicht bei Jugend ansetzt, wird uns das auf den Kopf fallen.“ 

Unicef forderte „dringend mehr Investitionen“ im Gesundheitswesen, etwa für kostenlose Therapieplätze, aber auch für niederschwellige Unterstützungsangebote in Schulen oder im digitalen Raum. Zudem müsse das Schweigen über psychische Erkrankungen gebrochen werden. „Schauen wir nicht weg, und lernen wir offen darüber zu sprechen“, sagte Geißler. Auch Culen schloss sich der Forderung für eine kostenlose Behandlung psychischer Probleme an: „Es wäre schön, wenn man auch mit einer Angststörung oder bei Selbstverletzung einfach mit der E-Card zum Arzt gehen kann."

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