Verändert Open Source die Medizin?

beigestellt
  • Drucken

Ein herkömmliches MRT kann bis zu 10 Mio. Euro kosten. Ein weltweites Forscherteam hat mithilfe von Open Source ein Gerät um 10.000 Euro entwickelt. Kann Open Source die Medizin „erschwinglich“ machen?

Bildgebende Verfahren wie eine Magnetresonanztomographie (MRT) bilden das Körperinnere ab, werden in der Diagnostik eingesetzt, sind sicher, nicht invasiv und überdies schmerzlos. Über 15 Millionen Mal wurde allein im Jahr 2018 in Österreich ein bildgebendes Verfahren zu Diagnosezwecken durchgeführt, geht aus einer Analyse des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger hervor. Zwölf Prozent davon waren CT- und MR-Verfahren und verursachten Kosten von rund einer halben Milliarde Euro. Jährlich gibt es einen massiven Anstieg der Untersuchungen. „Es ist eine sehr mächtige Technologie, die wahnsinnig viel Potenzial hat und von viel mehr Menschen benutzt werden sollte“, so Lukas Winter, Forscher an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Berlin und Initiator von OpenSourceImaging.org.

Der Grund, wieso ein MRT nicht viel öfter eingesetzt wird, ist vor allem auf den Kostenfaktor zurückzuführen. Je nach Ausfertigung kosten MRT-Geräte für Kliniken mindestens eine Million Euro, können aber bis zu zehn Millionen Euro ausmachen. Um diese dann zu betreiben und zu warten, kommen in etwa zehn Prozent des Einkaufspreises pro Jahr an den Hersteller noch dazu – ähnlich der Software-Abo-Pakete, die jeder aus dem Alltag kennt. Neben den Kosten fehlt ein transparenter Ansatz. „Das MRT ist daher beschränkt auf Länder, die es sich leisten können. Das Anwendungspotenzial ist lang noch nicht ausgeschöpft.“

Das Wissen der Gemeinschaft nutzen

Mit dem Projekt OpenSourceImaging.org beweist eine Forscher-Community, dass dies auch kostengünstiger geht, wenn man das Wissen der Gemeinschaft nutzt. Sie hat ein Open-Source-MRT entwickelt, das einen Bruchteil der Kosten in der Entwicklung ausmacht: Die Hardware-Komponente und der DIY-Bau des Gerätes belaufen sich auf rund 10.000 Euro. Das Gerät soll vor allem in Entwicklungsländern zum Einsatz kommen oder Menschen helfen, die sich eine diagnostische Bildgebung nicht leisten können. Die Open Source Imaging Initiative wurde 2016 ins Leben gerufen. Heute, fast fünf Jahre später, arbeiten verschiedene Institute und Wissenschaftler international an verschiedenen Komponenten der MRT-Entwicklung, das angehäufte Wissen wird kostenlos und online zur Verfügung gestellt. „Ziel der Forschungsgemeinschaft ist ein leistungsfähiges Produkt, das in der Klinik eingesetzt wird. Die Open-Source-Möglichkeiten sind dabei zentraler Bestandteil für eine nachhaltige Lösung.“ Der erste MRT-Prototyp hat am Leiden University Medical Center in den Niederlanden bereits erste Bilder gemacht.

Einfachere Technologie

Das Besondere an dem Open-Source-MRT ist, dass es aus einfachen Magneten zusammengebaut werden kann, die jeder im Internet bekommt. Bei klassischen MRTs wird das Magnetfeld mit supraleitenden Spulen erzeugt, die gekühlt werden müssen. Das macht diese Technologie sehr teuer und erschwert die Produktion. Ziel des Open-Source-Projekts ist es, möglichst niedrigschwellig zu bleiben. „Wir wollen kein universelles Gerät schaffen, sondern transparente Technologie, die vor Ort gebaut, angepasst, betrieben, gewartet und verbessert werden kann.“ Mit den kleinen Permanentmagneten sind die erreichten magnetischen Flussdichten geringer, was auch ein geringeres Signal-Rausch-Verhältnis bedeutet. Das heißt, es kommt weniger Signal aus dem Körper, was zu einer schlechteren räumlichen Auflösung führt. Das heißt aber nicht, dass es keine klinische Anwendung gibt. „Es ist noch lang nicht untersucht, was die beste Feldstärke für ein bestimmtes diagnostisches Problem ist, das hängt von verschiedenen Parametern ab, die Kosten sind einer davon.“ Man könne etwa ein Smartphone mit schlechter Handykamera haben und trotzdem erkennen, was auf dem Bild zu sehen ist, wenngleich nicht in HD-Auflösung – ähnlich ist es in der Diagnostik. „Tatsächlich gibt es einige Vorteile in den niedrigeren Feldstärken, die unser MRT hat, beispielsweise die erhöhte Sicherheit.“

Keine Abhängigkeit vom Hersteller

Für die OpenSourceImaging-Community sei neben den niedrigen Materialkosten interessant, eine nachhaltige Lösung für Betrieb, Schulung und Wartung zu finden – vor allem im Hinblick auf Entwicklungsländer. Man wolle nicht vor Ort von Herstellerfirmen abhängig sein, die sich den Service und die lokale Anpassung teuer bezahlen lassen. Der Open-Source-Ansatz soll dabei helfen, Abhängigkeiten abzubauen. Und zwar nicht nur im Einsatz, sondern schon in der Entwicklung: „Je mehr Informationen der Öffentlichkeit frei zugänglich sind, je mehr Gehirnschmalz von vielen Menschen einfließt, desto einfacher wird es für Firmen, über die in der Medizintechnik sehr hohe Markthürde zu springen. Je mehr man auf eine komplette Dokumentation des Gerätes, der Baupläne, Sicherheitsaspekte, Materialien, Dokumentation für eine Zertifizierung des Gerätes zugreifen kann, desto einfacher wird es für eine Firma, in die Produktion zu gehen.“ So soll gesunde Konkurrenz gefördert und damit die Preise günstiger werden. Anstatt dass jede Firma jedes Stadium der Entwicklung durchläuft und Kosten an das Gesundheitssystem und an den Patienten weitergereicht werden, soll es einen einheitlichen Standard geben. Davon könnten schlussendlich auch Länder in Europa stark profitieren.

Offene Frage Sicherheit

Ein offener Fragepunkt in der Open-Source-Medizin ist das Thema Sicherheit. Langfristig betrachtet sind Open-Source-Projekte sogar sicherer, meint Winter. Bisher kann man in Medizinprodukte nicht hineinschauen. „Wenn wir in die Technologie reinschauen könnten, ist die Wahrscheinlichkeit höher, Fehler zu entdecken. Unabhängig davon, wie viele Ingenieure in einem Unternehmen an einem Produkt arbeiten, die globale Community ist immer größer.“ Technologie wird immer komplexer, Schnittstellen zu anderen Projekten und Bereichen erschweren eine Kontrolle, das Mehr-Augen-Prinzip könnte gerade hier nützlich sein, um die Sicherheitsstandards in der Medizintechnik zu erhöhen und transparenter zu gestalten.

Einheitliche Sicherheitsstandards

„Ein weiterer Vorteil wäre, dass wir, global betrachtet, einheitlichere Sicherheitsstandards ermöglichen könnten. In einigen Ländern gibt es überhaupt keine Regelungen“, so Winter. Diese Fragen müssten in naher Zukunft gelöst werden, bisher steht die Diskussion noch ganz am Anfang. „Es gibt aber auch noch nicht wirklich viel Open-Source-Medizintechnik am Markt“, gibt Winter zu bedenken. Den Sicherheitsfaktor von Open-Source-Projekten hebt auch Bernhard Mayr von Doctory.at hervor. Wenn der Quellcode online einsehbar ist, können Sicherheitslücken schneller gefunden werden. Das Team von Doctory.at mit Firmensitz in Wels, das aus Unternehmern, Softwareentwicklern und einem Mediziner besteht, hat vor rund zehn Jahren eine Open-Source-Lösung aus der Schweiz für den österreichischen Markt angepasst und weiterentwickelt. Drei Abo-Modelle – die Basisoption ist kostenlos – sollen die Organisation in der Arztpraxis erleichtern. Von administrativen Prozessen bis zum Patienten-Management kann die Software jeden Prozess abbilden, aber auch Rezepte und Überweisungen managen oder die Abrechnung von Wahlärzten abnehmen.

„Spannend am Open-Source-Aspekt ist, dass man Projekte unmittelbar anpassen kann. Sicherheitslücken werden schnell gefunden und einheitliche Standards werden ermöglicht“, so Mayr. Vielfach herrsche bei Ärzten noch Skepsis gegenüber Open-Source. „Open-Source-Ansätze werden mit einer gewissen Unsicherheit verbunden, wie es etwa mit der Wartung oder der Weiterentwicklung aussieht. In der Beratung können wir das entkräften. An anderen erfolgreichen Projekten sieht man, dass von Open Source keine Gefahr ausgeht – im Gegenteil.“ Am Betriebssystem von Linux etwa, dass auch mit Open Source einen Millionenmarkt bedient.


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.