Der ökonomische Blick

Die Marktmacht der Arbeitgeber

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++ THEMENBILD ++ ARBEITSMARKT / ARBEITSLOSIGKEIT / JOBSUCHE / JOBANGEBOTAPA/BARBARA GINDL
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Die Vorstellung vom Arbeitsmarkt als perfekter Wettbewerb wird oft zur Rechtfertigung von regressiven Politikmaßnahmen verwendet. Diese Vorstellung gilt in der Forschung als überholt - unter anderem dank der empirischen Arbeit von David Card, Mit-Wirtschaftsnobelpreisträger 2021.

Arbeitslose leben häufig in Armut und sind von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen.Gleichzeitig werden häufig - etwa in der aktuellen Reformdiskussion um die österreichische Arbeitslosenunterstützung - Forderungen laut, dass Arbeitslosen das Leben noch schwerer gemacht werden muss, um Anreize zur Arbeitssuche zu schaffen - zum Beispiel durch Kürzungen des Einkommens aus Sozialleistungen, Reduktion der Zuverdienstgrenze, und Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen.

Es würde nahe liegen, dass die Vertreter dieser Forderungen auch für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen eintreten - was ja ebenso Anreize für höheres Arbeitsangebot schaffen würde. Stattdessen jedoch argumentieren sie oft für niedrigere Löhne, indem sie Arbeitslosigkeit dann doch als Nachfrageproblem beschreiben, und nicht mehr als Frage des Arbeitsangebots. Das ist wieder nicht der Fall, wenn “Arbeitskräftemangel” beklagt wird - der sich durch höhere Löhne und bessere Bedingungen schnell beheben ließe.

„Der ökonomische Blick“ ist ein Blog, der aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen behandelt. Er entsteht in Kooperation mit der Nationalökonomischen Gesellschaft (NoeG) und der Presse. Jede Woche erscheint eine neue Ausgabe. Mehr: diepresse.com/oekonomischerblick

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Eine mögliche Erklärung dieser scheinbar widersprüchlichen Positionen ist, dass sie eine konsistente Interessenpolitik für Arbeitgeber darstellen. Lassen wir das aber beiseite, und sehen uns die Argumente gegen Maßnahmen für verbesserte Arbeitsbedingungen und höhere Löhne an. Eine klassische Rechtfertigung ist das Modell des Arbeitsmarktes als vollständiger Wettbewerb. Dieses Modell nimmt an, dass Arbeitgeber Löhne als vom Markt vorgegeben nehmen müssen. Wenn sie um einen Euro weniger zahlen, kündigen alle Arbeitnehmer. Wenn sie um einen Euro mehr zahlen, können sie endlos viele Arbeitnehmer finden. Eine Vorhersage dieses Modells ist, dass Mindestlöhne zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit führen. Eine andere Vorhersage ist, dass es egal ist, wo man einen Job findet - im Wettbewerb sind Löhne und Arbeitsbedingungen bei verschiedenen Firmen gleich.

Effekt von Mindestlohnerhöhungen

Dieses Modell des vollständigen Wettbewerbs am Arbeitsmarkt kann getrost als überholt beschrieben werden, und ist in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung durch andere Modelle ersetzt worden. Maßgeblich daran beteiligt war David Card, der dieses Jahr für seine empirische Arbeitsmarktforschung mit dem Wirtschaftsnobelpreis mit-ausgezeichnet wurde. Berühmt wurde Card unter anderem durch seine Arbeit zum Effekt von Mindestlohnerhöhungen auf die Beschäftigung. In den Studien von David Card, wie auch in zahllosen Studien die seither durchgeführt wurden, lässt sich kein systematischer Effekt von Mindestlöhnen auf die Beschäftigung feststellen. [1] Das lässt sich schwer mit dem Modell des vollständigen Wettbewerbs vereinbaren.

Ebenso gibt es eine sehr große Literatur zum Anteil von Firmen an der Lohnungleichheit, zu der David Card auch beigetragen hat. Ein beträchtlicher Teil der Ungleichheit ist zwischen Firmen - bei einer produktiven Firma verdienen alle mehr, bei einer nicht so produktiven Firma verdienen alle weniger. [2] Auch das lässt sich schwer mit dem Modell des vollständigen Wettbewerbs vereinbaren.

Stattdessen scheint es so, als ob Arbeitgeber Marktmacht besitzen. Marktmacht heißt, dass bei einer Senkung des Lohns um einen Euro nicht sofort alle Arbeitnehmer kündigen. Auf den Märkten für Güter ist das längst wissenschaftlich etabliert, und zentrales Thema der “industrial organisation” Forschung, wie auch der Wettbewerbspolitik. Es lag nahe, dass die selben Mechanismen auch am Arbeitsmarkt eine Rolle spielen.

Marktmacht hat weitreichende Implikationen. Sie führt dazu, dass Arbeitgeber künstlich die Beschäftigung niedrig halten, um die Löhne zu drücken. Löhne liegen unter der (Grenz-)Produktivität, das heißt dem Beitrag zusätzlicher Arbeitnehmer zum Firmeneinkommen.

Marktmacht impliziert auch, dass eine Erhöhung von Mindestlöhnen zu einem Steigen der Beschäftigung führen kann - wenn der Lohn nicht gedrückt werden kann, gibt es für die Firmen keinen Grund mehr, die Beschäftigung gering zu halten.

Marktmacht bedeutet auch, dass es eine Rolle spielt bei welcher Firma man Arbeit findet. Produktive Firmen zahlen im Allgemeinen mehr als weniger produktive, wenn sie Marktmacht haben.

Zeitaufwand und geographische Lage

Woher kommt die Marktmacht der Arbeitgeber? Eine klassische Vorstellung wäre, dass eine Fabrik der wichtigste Arbeitgeber für eine ganze Kleinstadt wäre. Das ist für die meisten Arbeitnehmer heutzutage nicht der Fall. Stattdessen spielen zwei andere Mechanismen eine zentrale Rolle: Zum ersten braucht es Zeit und Aufwand, eine Stelle zu finden. Sobald sich Arbeitnehmerin und Arbeitgeber einmal gefunden haben, hat die Arbeitnehmerin ein Interesse einen Arbeitsvertrag abzuschließen, selbst wenn es irgendwo noch andere Stellen gäbe die vielleicht etwas besser zahlen. Zum zweiten sind nicht alle Arbeitgeber gleich, aus Sicht der Arbeitnehmer. Zum Beispiel spielt die geographische Lage eine Rolle; die meisten wollen nicht wesentlich weiter pendeln, um einen etwas höheren Lohn zu bekommen.[3]

Eine mögliche Antwort auf diese Lage der Dinge wären politische Interventionen, um den Wettbewerb zwischen Arbeitgebern zu erhöhen, und um zu besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen zu kommen. Das spielt allerdings bis jetzt in der Wettbewerbspolitik kaum eine Rolle, und viele Stimmen die sonst gerne nach mehr Wettbewerb rufen sind erstaunlich still, wenn es um den Arbeitsmarkt geht (was wieder eine interessenspolitische Interpretation nahelegt).

Eine andere Antwort ist die Suche nach politischen Maßnahmen, die die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stärken. Zentral dafür sind “outside options” - oder die “Möglichkeit, nein zu sagen”. Zwei solche Vorschläge, die dieser Tage breit diskutiert werden, sind verschiedene Formen einer Arbeitplatz-Garantie, und verschiedene Formen eines Grundeinkommens. Beide Vorschläge scheinen vielversprechend, und es macht auch Sinn über die Einführung von beiden gleichzeitig zu diskutieren.

Meine KoautorInnen [4] und ich evaluieren derzeit Pilotprojekte für beide Ansätze, was sicherlich im Sinne der Befürworter “evidenzbasierter Politik” ist. Damit können wir hoffentlich auch einen Beitrag zur Reformdiskussion um die österreichische Arbeitslosenunterstützung leisten. Die Studien-Designs finden sich unter https://maxkasy.github.io/home/files/other/PAP_job_guarantee_Marienthal.pdf  und https://maxkasy.github.io/home/files/other/pre_analysis_plan_mein_grundeinkommen.pdf .

Max Kasy
Max Kasy

Fußnoten

[1] Die berühmte Studie am Anfang dieser Literatur ist https://davidcard.berkeley.edu/papers/njmin-aer.pdf
Ein umfassendes neueres Papier in dieser Tradition ist https://academic.oup.com/qje/article/134/3/1405/5484905

[2] Einen Überblick über diese Literatur geben https://davidcard.berkeley.edu/papers/CCHK-march-2016.pdf

[3] https://davidcard.berkeley.edu/papers/CCHK-march-2016.pdf  beschreiben so ein Modell in dem Firmen voneinander differenziert sind. Einen guten Überblick über ander Mechanismen hinter der Marktmacht bieten https://obamawhitehouse.archives.gov/sites/default/files/page/files/20161025_monopsony_labor_mrkt_cea.pdf

[4] Lukas Lehner (für die Arbeitsplatzgarantie) und Sandra Bohmann, Susann Fiedler, Jürgen Schupp, und Frederik Schwerter (für das Grundeinkommen).

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