Gastkommentar

Selbstdemontage der Polit-Idole

Verlieren politische Heilsbringer in der Pandemie an Zuspruch? Die Toleranzspielräume werden offenbar kleiner.

Zu blank liegen die Nerven vieler Menschen in pandemischen Zeiten. Sie betreten kaum noch die Diskursräume ihres jeweiligen Gegenübers. Die „Bubbles“ von politischen Anhängern und Gegnern entfernen sich immer weiter voneinander, bis nur noch gegenseitiges Missverstehen vorherrscht.

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Vorbilder politisch und gesellschaftlich uneingeschränkt positiv zu besetzen kann gefährlich sein. Während das Idol heute ausschließlich positiv konnotiert ist, fand der Begriff seit der Antike ausnahmslos negative Verwendung. Idole standen im Kontext des falschen Gebrauches der menschlichen Vernunft, sie waren Götzen. Francis Bacon, der philosophische Wissenschaftsreformer an der Schwelle zur Neuzeit, warnte noch in seinem Hauptwerk „Novum Organum“ vor den falschen Begriffen, die von Idolen herrühren.

Oftmals enttarnen sich viele der scheinbaren Vorbilder als aus dem Nichts in hehre politische Höhen geschwemmte Heilsbringer. Massentaugliche Polit-Idole haben vielfach bereits das „Vor“ aus „Vorbild“ gestrichen und arbeiten „in hohem Bogen über das Volk hinweg“ (Rilke) nur noch an ihrem Bild; am eigenen Image und dessen glatter Oberfläche, die sie stets auf Hochglanz polieren.

Die USA haben unter ihrem 45. Präsidenten bereits einen nachhaltigen Beitrag zur politischen Vorbildverzerrung geleistet. Trotz inhaltsbefreiter rhetorischer Blendwerke und offener Lügen unterstützt die überwiegende Mehrheit der republikanischen Wählerinnen und Wähler Donald Trump immer noch. Wie ein Heer von Rigiden erhebt sie ihr Idol zur politischen Führungsfigur für die Präsidentschaftswahl 2024.

Auch die US-Medien können, im Unterschied zur internationalen Presse, nicht aus der Mitverantwortung entlassen werden. Anstatt die Flut sprachlicher Zerr- und Trugbilder aus der Rhetorikfabrik Trumps so weit wie möglich zu übergehen, schreiben die großen US-Zeitungen und News-Netzwerke diese auf Tagesbasis geradezu herbei. Zudem lassen Social-Media-Konzerne es wie verbale Brandbeschleuniger zu, dass trotz hoch entwickelter Algorithmen jegliche populistische Botschaft und nahezu jede Lüge und Fehlinformation als „politische Meinung“ in die Timeline der teils apolitischen Social-Media-Konsumenten transportiert werden.

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