Netflix-Serie

Ist es beim Football wie auf dem Sklavenmarkt?

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Mit seinem Kniefall wurde Footballstar Colin Kaepernick zu einer Ikone der „Black Lives Matter“-Bewegung. Die Miniserie „Colin in Black and White“ zeichnet seine Jugend nach – und wird ihrerseits kritisiert. Zu sehen ist sie nun auf Netflix.

Die Geste kostete ihn seine sportliche Karriere in der US-Footballliga NFL: Im Herbst 2016 kniete sich Quarterback Colin Kaepernick beim Abspielen der US-Nationalhymne vor den Matches nieder, um so seinen Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus auszudrücken. Unpatriotisch fanden das viele (konservative) Amerikaner. Volksverräter nannten ihn rechte US-Medien. „You're fired“, richtete ihm der damalige US-Präsident Donald Trump aus. Mit seiner Geste wurde Kaepernick zur Ikone für die „Black Lives Matter“-Bewegung, aber kein Footballteam nahm den Spieler seitdem mehr unter Vertrag.

Nun hat Netflix eine Serie über ihn herausgebracht: Den Kniefall sieht man in „Colin in Black and White“ nicht. Vielmehr geht es in den sechs rund dreißigminütigen Folgen um die Jugendzeit Kaepernicks: Dem schwarzen Adoptivsohn weißer, sehr weißer Eltern, aufgewachsen in einer Kleinstadt in Kalifornien, wird Stück für Stück bewusst, wie anders er behandelt wird als seine Eltern und weiße Schulkollegen. „Colin in Black and White“ ist eine sehenswerte Coming-of-Age-Geschichte über Rassismus.
Die Serie ist formal außergewöhnlich: Sie mischt fiktionale Elemente mit Erklärungen und Ausflügen in die Geschichte von Afroamerikanern. Kaepernick selbst, in schwarzem Anzug und mit üppigem Afro, referiert in einem betongrauen Raum über Themen wie „Microagressions“ – Nadelstiche mit rassistischem Hintergrund – oder erzählt Geschichten über schwarze Sportler oder Aktivisten. Die grauen Wände werden zu Schautafeln und Leinwänden, über die zu filmischen Szenen übergeleitet wird.

Es ist schade, dass die Serie gerade am Beginn der ersten Folge ins Extrem geht: Auf einem Spielfeld werden angehende Footballstars bei der „NFL Combine“, einer Art Leistungsschau, vermessen. Es werde nach Defekten gesucht, die die Spielleistung beeinflussen könnten, erklärt Kaepernick. Dann treten die Spieler in den grauen Raum, wo eine Auktion wie auf einem Sklavenmarkt inszeniert wird. Die schwarzen Männer werden in Ketten gelegt, auf einen Holzblock gestellt, von weißen Männern angepriesen und ersteigert. „Keine Grenze wird respektiert. Man verliert seine Würde“, sagt Kaepernick. Die Szene erzürnte Zuseher: Auch nicht schwarze Spieler würden so beurteilt, so die Kritik. Niemand werde gezwungen, in der NFL zu spielen (wo man auch gut verdient). In dem drastischen Vergleich kann man die Handschrift von Regisseurin Ava DuVernay („Selma“) erkennen, die die Serie gemeinsam mit Kaepernick entwickelt hat. In ihrem Dokumentarfilm „13th“ hatte sie zuvor etwa die These aufgestellt, dass das US-Gefängnissystem eine Fortführung der Zwangsarbeit der Sklaven darstelle.

Dabei gehe es Kaepernick eigentlich darum – das formuliert er in der Szene auch –, Machtverhältnisse zu verdeutlichen. Dafür braucht die Serie keine Bilder wie diese. Das gelingt mit Fakten: Über 70 Prozent der Footballspieler sind schwarz, aber nur weniger als ein Drittel der spielangebenden Quarterbacks. Und es gelingt in den nachgespielten Szenen mit dem so unschuldig und schüchtern wirkenden Jaden Michael als jungem Kaepernick. Zwar unterstützen seine Eltern (Mary Louise Parker, Nick Offerman) seine Karriere – aber sie bleiben doch taub gegenüber den rassistischen Untertönen, die ihr Sohn sehr wohl hört. Einmal steht der junge Colin, ein sportliches Ausnahmetalent, in der Empfangshalle eines Hotels. Rund um ihn sind nur Weiße. Er traut sich nicht, sich einen der bereitgestellten Äpfel zu nehmen, weil er von der Rezeptionistin mit Argusaugen beobachtet wird.

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Der Kniefall wurde verboten

Diesem verunsicherten Teenager schickt Kaepernick in der letzten Folge einen Brief: „Vertrau deiner Kraft“, richtet er seinem jüngeren Selbst aus. „Du wirst lernen zu lieben, wer du bist. Und dich nicht darum scheren, dass sich manch andere unwohl fühlen, weil du bist, wer du bist.“ Es ist der Moment, in dem man begreift, dass man nicht das Publikum ist, auf das die Serie abzielt. Das fühlt sich ungewohnt an.

In seinem Brief spricht Kaepernick auch über Kontrolle und darüber, sich nicht brechen zu lassen. Ist es verwunderlich, dass die Themen Kontrolle und Macht im sportlichen Kräftemessen so wichtig sind? Auch wenn es um Dinge geht, die das Spiel nicht beeinflussen? Der Kniefall bei der Bundeshymne wurde in der NFL zwischenzeitlich verboten und mit einer Sperre bestraft. Weiterhin mit Bußen belegt sind bestimmte Formen von Jubel über einen Touchdown – wie etwa das sexy Twerken, ein Tanzstil, der aus der afroamerikanischen Kultur kommt. Warum eigentlich? Wer hat Angst vorm schwarzen, sexuell aktiven Mann?

Der Kniefall ist inzwischen wieder erlaubt. Comeback für Kaepernick gab es keines. Mit 34 Jahren wäre er noch nicht zu alt als Quarterback. Muss man deswegen wehmütig werden? In der Serie erzählt Kaepernick die Geschichte des Afroamerikaners Romare Bearden. Dieser hätte in den 1930ern der erste Schwarze in der nationalen Baseballliga werden können – wenn er sich als Weißer ausgegeben hätte. Bearden lehnte ab und wurde als Künstler mit Collagen erfolgreich. Kaepernick hat die Hoffnung auf eine Rückkehr in den Profisport noch nicht aufgegeben. Er steht jeden Tag um fünf Uhr morgens auf, um zu trainieren.

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October 2, 2016, Santa Clara, CA, USA: From left, The San Francisco 49 s Eli Harold (58), Colin Kaep
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