Die griechische Regierung wird des wachsenden Flüchtlingsstroms nicht mehr Herr und hat Brüssel um den Einsatz der EU-Grenzschützer gebeten. In den griechischen Camps fehle es an allem, so Hilfsorganisationen.
Athen. Überfüllte Flüchtlingslager, in denen Männer, Frauen, Kinder unter katastrophalen Bedingungen zusammengepfercht leben müssen. In den dreckigen, stickigen griechischen Camps fehle es an allem, warnen seit Monaten Hilfsorganisationen: Es gebe kaum Nahrungsmittel und Medikamente, sogar Wasser sei knapp. „Es war schwierig, mit den Flüchtlingen zu reden. Wir mussten bald nach unserer Ankunft gehen, da wir in den stickigen Zellen selbst nicht genug Luft bekamen“, schilderte nach einer Inspektion der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak.
Ein Grund für die desaströse Lage ist, dass Griechenland des zunehmenden Flüchtlingsstroms nicht mehr Herr wird: Tausende Asylsuchende werden aufgrund von EU-Vereinbarungen aus anderen EU-Staaten nach Griechenland zurückgeschickt. Zudem kommen immer mehr illegale Einwanderer über die Grenze zur Türkei, die meisten stammen aus Afghanistan, Somalia, dem Irak und dem Iran. Wegen strengerer Kontrollen im Mittelmeer ist die türkisch-griechische-Grenze inzwischen eine der Hauptrouten geworden, um in die EU zu gelangen: Allein in den ersten acht Monaten 2010 wurden dort 23.000 „Papierlose“ festgenommen – viermal mehr als im Vorjahr. Die überforderte Athener Regierung hat nun Brüssel um den Einsatz der EU-Grenzschützer Frontex gebeten.
Verschlimmert wird die humanitäre Situation dieser Menschen durch das laut UNO „völlig dysfunktionale Asylsystem“ Griechenlands, das verfolgten Menschen keinen Schutz garantiere. Tatsächlich erhalten im Schnitt nur etwa 0,03 Prozent aller Antragssteller Asyl. Von einem geregelten und fairen Verfahren könne keine Rede sein, kritisiert die Organisation Pro Asyl: „Die Schutzsuchenden sind der Gefahr willkürlicher Inhaftierungen, Obdachlosigkeit und Hunger ausgesetzt.“ Es fehlten Ärzte, Dolmetscher, Sozialarbeiter.
Suizidversuche von Kindern
Erst im Sommer hatte ein Bericht von Amnesty International für Aufsehen gesorgt. Nicht nur von Missbrauch an Flüchtlingen war darin die Rede, sondern auch von elternlosen Flüchtlingskindern, die monatelang in Lagern festgehalten wurden. In einem der Camps seien die Minderjährigen aus Protest in den Hungerstreik getreten. Andere Kinder hätten versucht, sich das Leben zu nehmen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2010)