Blick in den Wohnbereich mit Steinboden, Fichtenholz an Wänden und Decke und Kamin.
Baugeschichte

Hanghaus Herzgsell: Stein, Holz und Stampfbeton

Eine ungewöhnliche Mischung kam beim „Ausgedingehaus“ für einen Steinmetz in den Salzburger Alpen zum Einsatz.

Wie baut man ein nachhaltiges, modernes Haus? Muss alles aus Holz sein? Und ist Beton immer pfui? Viele Fragen, kurze Antwort: Auf die Mischung kommt es an. So auch beim Auftrag, rund 300 Meter vom alten Bauernhof entfernt ein „Ausgedingehaus“ zu entwerfen – an den Hang geschmiegt und im Einklang mit der Natur. Einhöfe waren im alpenländischen Bereich lange Zeit „State of the Art“, der Sockel gemauert, darüber ein Holzbau – und alles unter einem Dach: Menschen, Tiere, Vorräte und Futter für das Vieh.

Traditionelle Balkon-Galerie

Sehr viele dieser Einhöfe wurden so in den Hang gebaut, dass das Heu oben ebenerdig in die Tenne gefahren werden konnte und sich in den unteren Stockwerken Tier und Mensch zusammenfanden. Diese traditionelle Bauweise nahm sich Architekt Tom Lechner von LP Architektur zum Vorbild – und so folgt das neue Haus Herzgsell mit rund 170 Quadratmetern Wohnfläche im Salzburgischen, auf einer Anhöhe bei Radstadt gelegen, diesem alten Prinzip.

„Ein Hanghaus stellt einen immer vor Herausforderungen, und letztlich kommt es darauf an, wie man mit dem Hang umgeht, ob man ihn in den Bau integriert oder ob man den Hang als störendes Element betrachtet“, erläutert der Architekt. Demensprechend wurde das Haus so in den Hang gebaut, wie das schon seit Jahrhunderten praktiziert wurde.

Der untere Teil ist gemauert bzw. aus Stahlbeton, „alle erdberührenden Teile bestehen aus technischen Gründen aus Stahlbeton, das Haus selbst ist in Holzriegelbauweise mit Fichtenholz errichtet, außen wurde Lärche verwendet“.

Das obere Stockwerk wirkt nach außen zur Straße hin eher abweisend, das Haus öffnet sich auf der Hangseite mit einer überdachten Galerie, die sich über beide Stockwerke erstreckt, „auch das haben wir der traditionellen Bauweise entnommen, da es in den alten Einhöfen immer überdachte Balkone gab, die dem Wäsche- oder Getreidetrocknen dienten“. Das obere Stockwerk ist den öffentlichen Räumen vorbehalten, mit einem großzügigen, offenen Wohn-Ess-Bereich, der einen weiten Panoramablick erlaubt und direkt auf die Galerie führt, im unteren Stockwerk sind zwei Schlafzimmer und die Nebenräume untergebracht.

Was dem ganzen Haus Struktur und Einzigartigkeit verleiht, ist eine Mauer aus Stampfbeton, die das Haus zum Hang hin schützt. Stampfbeton ist ein unbewehrter, eher minderwertiger Beton, der Lage für Lage verdichtet wird und früher oft eingesetzt wurde. Lechner hat sich dafür entschieden, weil das Material offenporiger ist und eine gewisse Archaik ausstrahlt und hat diese Stampfbetonmauer im oberen Teil perforieren lassen – ausgeführt von einem heimischen Künstler – und im unteren Teil auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich große Öffnungen hineingeschnitten, sodass sich ganz eigene Lichtspiele ergeben. Dadurch entsteht ein Raum zwischen dem Wohngebäude und der Außenwand, der vom kunstaffinen Hausherrn für seine Bildersammlung verwendet wird.

Dem Naturraum Respekt erweisen

„Wir haben uns auch für diese Lösung entschieden, um der zunehmenden Lichtverschmutzung nicht weiter Vorschub zu leisten und dem Naturraum Respekt zu zollen. Da das Haus auf dem Scheitelpunkt eines Hangs steht, würde das Licht am Abend durch große Glasfenster sehr weit leuchten, was auch für die Tiere höchst irritierend ist“, erklärt Lechner sein Konzept.

Die Innenraumgestaltung stellte für Lechner eine gewisse Herausforderung dar: „Wir wollten keinesfalls zu stylish werden, eine hoch designte Einrichtung kam nicht infrage, es sollte alles robust wirken und nicht steril sein.“ Das Hausinnere wird daher von Holz und Stein dominiert. Die Wände, Decken und die Küchenausstattung sind aus Fichte, denn „dieses Holz wirkt durch die Maserung besonders natürlich“, die meisten Böden wurden in Stein ausgeführt, „da der Bauherr als Steinmetz eine Affinität zu diesem Material hat“, erklärt Lechner.

Geheizt wird mit einer Wärmepumpe, die durch eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach mit Strom versorgt wird. Als Zusatzheizung gibt es einen großen Kamin im Wohnbereich, den ein Künstler entworfen hat. Sowohl dem Bauherren als auch dem Architekt war es besonders wichtig, „kein Statussymbol hinzustellen, sondern ein Haus im Einklang mit der Natur, mit Baumaterialien aus der Gegend, das auch eine regionstypische Bauweise aufweist, nicht gestylt wirkt und vor allem keine falsche Perfektion vermittelt“.

Was ihnen ganz offensichtlich geglückt ist – nicht zuletzt wurde das Gebäude heuer vom Callway-Verlag in die „Häuser des Jahres 2021“ aufgenommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2021)

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