Wasserkraft

„Der Fluss ist kein Schrebergarten“

Knapp zwei Drittel der heimischen Stromerzeugung stammen aus Wasserkraft.
Knapp zwei Drittel der heimischen Stromerzeugung stammen aus Wasserkraft.imago stock&people
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Energie aus Fließgewässern zu gewinnen gilt als eine der „saubersten“ Methoden. Doch bleibt unser Energiebedarf so hoch, müssen wir die Wasserkraft weiter ausbauen – und dafür stehen praktisch nur noch ökologisch schützenswerte Regionen zur Verfügung.

In Österreich ist man stolz auf etwas, das eigentlich gar nicht uns gehört: aufs heimische Wasser. Das merkt man daran, dass es in offizieller und inoffizieller Hymne, Rainhard Fendrichs „I am from Austria“, an prominenter Stelle vorkommt; das merkt man daran, wie aufgeregt vor ein paar Jahren über eine eventuelle Privatisierung von Trinkwasservorkommen debattiert wurde.

Und man merkt es daran, wie sorglos viele Österreicherinnen und Österreicher einer Zukunft, gespeist ausschließlich aus erneuerbarer Energie, entgegenblicken: Wir haben schließlich genügend Flüsse und damit Wasserkraft. Wirklich?

Knapp zwei Drittel der heimischen Stromerzeugung stammen aus Wasserkraft – das klingt mächtig. Sie ist erneuerbar, versiegt praktisch nicht (komplett) und galt lang als CO2-neutral, bei der Energiegewinnung wird also deutlich weniger Kohlendioxid frei als etwa im Biomassekraftwerk, wo Holz verbrennt. Wasserkraft ist so besser für das Klima als andere Technologien.

Aber: „Sie hat immer negative Auswirkungen auf die Umwelt“, sagt Steven Weiss, Ökologe und Zoologe an der Universität Graz. Er beschäftigt sich mit Süßwasserfischen, speziell Salmoniden, zu denen auch Forellen und Lachse zählen. In seiner Forschung sieht er zunehmend, wie Wasserkraftwerke die ökologische sowie chemische Wasserqualität von Flüssen und Grundwasservorkommen verringern, wie sich durch sie Temperatur und Abflussverhalten des Wassers verändern, Habitate verloren gehen – etwa weil den Fischen bei ihren Wanderungen Hindernisse im Weg stehen.

Und Weiss relativiert: Auch wenn Wasserkraftwerke in Österreich relativ viel Strom erzeugen, speisen sie damit nur 10,6 Prozent unseres Brutto-Energieverbrauchs. Denn rund zwei Drittel der Energie, inklusive der Anteile für Heizen und Mobilität, liefern fossile Brennstoffe – Öl, Gas, Kohle.

200 neue Projekte sind geplant

„In Österreich gibt es derzeit 5200 Wasserkraftanlagen“, sagt der Wissenschaftler. Mehr als 90 Prozent der ins Stromnetz einspeisenden Anlagen seien dabei (sehr) klein. Auswirkungen auf die Ökosysteme haben sie trotzdem. Und: Wenn unser Energieverbrauch so hoch wie derzeit bleibt bzw. künftig verstärkt auf Wasserkraft gesetzt wird, muss der Anteil der Kraftwerke steigen. Laut Umweltdachverband sind gut 200 neue Wasserkraftprojekte geplant, so Weiss.

Davor warnt der Forscher: Knapp drei Viertel davon befinden sich in Flussabschnitten, die entweder schützenswert oder bereits unter Schutz sind. „Übrig geblieben sind unsere Schätze – und genau dort soll gebaut werden“, sagt der Wissenschaftler.

Als Beispiel nennt Weiss die Isel in Osttirol: Sie entspringt auf 2400 Metern; ihr Oberlauf, der im Nationalpark Hohe Tauern liegt, ist für die Umbalfälle bekannt, mit seinen Stromschnellen und der Kaskadentreppe viel bestaunt. Sie gilt in ihrem gesamten Verlauf, bevor sie bei Lienz in die Drau mündet, als Natura-2000-Schutzgebiet – was aber bloß Bach- bzw. Flussbett und ein paar Meter Ufer betrifft. Grund für den Schutz liefert die Deutsche Tamariske, ein seltener Rispelstrauch auf den Kiesbänken, so Weiss. An der Isel gibt es sie noch; ein Kraftwerksprojekt wurde unter anderem deshalb eingestellt. „Die aktuelle Biodiversitätskrise ist ernst zu nehmen, weil sie in viele Bereiche hineinspielt.“ Die Vielfalt der Arten sei etwa untrennbar mit unserem Anspruch auf saubere Luft, sauberes Wasser verbunden.

Doch nun sind an den Zuflüssen der Isel neue Kraftwerke geplant, zwei davon bereits im Bau – an den Zubringern gilt der Naturschutz nämlich nicht. „Das führt zu einer schachbrettartigen Markierung von Schutzgebieten. Für mich als Ökologe ergibt das keinen Sinn. Der Fluss ist kein Schrebergarten“, sagt Weiss.

Lässt sich der Interessenkonflikt zwischen Klimaschutz und Naturschutz lösen? „Wir haben keine Energiekrise“, sagt Weiss mit Verweis etwa auf Sonnenenergie. „Wir haben eine Umweltkrise – und die Klimakrise gehört dazu.“ Wir müssten unseren Energiehunger zügeln: um die Hälfte. „Das ist noch ein Tabuthema“, sagt Weiss. „Aber allein der Stand-by-Strom macht fünf Prozent unseres Verbrauchs aus. Wir müssen anfangen, über solche Wege zu reden.“

IN ZAHLEN

84 Prozent der Wasserkraftwerke in Österreich sind Kleinstkraftwerke, die eine Normalleistung von weniger als einem Megawatt (MW) aufweisen.Zum Vergleich: Das Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug leistet etwa 236,5 MW.

4 Prozent
des Stromverbrauchs in Österreich stammen aus solchen Kleinstkraftwerken, zeigt eine Boku-Studie.

5200Wasserkraftanlagen in Österreich erzeugen Strom, decken aber nur 10,6 % des gesamten Brutto-Energieverbrauchs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2021)

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