Ist Reisen nur eine andere Form von Flucht? Eine Bewegung, die wir unternehmen, um Kenntnisse, Reichtümer und Menschen zu gewinnen? Sicher ist, dass die sogenannte Balkanroute eine Zweibahnstraße ist: ein Weg für Austausch und Begegnung.
Bevor Grenzen gezogen und Staaten gegründet wurden, gab es das Reisen. Das Aufbrechen und Abfahren, das Vertriebenwerden und das Fliehen. Reisen ist so alt wie der Schmerz, wie das Alles-loslassen-Wollen und Alles-verlassen-Müssen, geboren aus dem Bewusstsein des Schmerzes im Dasein.
Das wussten selbst diejenigen, die nie geneigt waren, ihren angestammten Ort zu verlassen, wie der Alexandriner Konstantinos Kavafis, „der weise alte Mann“, wie ihn Lawrence Durrell in seinem Alexandria-Quartett nannte. Kavafis, der bis zu seinem Tod 70 Jahre in seiner kosmopolitischen Stadt Alexandria lebte, war ein Reise-Skeptiker, weil er das Wohin-Reisen nicht als Notwendigkeit ansah. Er schrieb: „Wenn du in einem kleinen Winkel der Welt zerstört wirst, wirst du ihn überall in Trümmern finden.“ Dennoch blieb er nicht immer am selben Ort sitzen und wartete auf seine Trümmer. Er machte immerhin zwei Reisen nach Paris, Kurztrips nach Athen und Konstantinopel und hinterließ uns sein wunderbares Gedicht „Ithaka“, das uns die Bedeutung des Weges, den wir zu einem Ziel beschreiten, vor Augen führt.
Der Beginn jeder Reise fordert, sich dem Ruf der Ferne zu unterwerfen, denn die Ferne ist unendlich wie das Herz. Es gibt kein Gesetz und keine Regeln, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart, die uns vorschreiben, wann und wo und wie wir reisen sollen. Reisen ist eine Versuchung, die Bereitschaft, sich dem Ruf des Herzens auszuliefern und zu einem neuen Ort aufzubrechen, um dort etwas Unbekanntes zu entdecken. Reisen ist die Quelle der Weisheit und die Heimat des Staunens. Wer nicht direkt an den Ort reisen kann, reist in die Zeit, in die Vergangenheit „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ wie Marcel Proust, in die Gegenwart „Amerika“ wie Kafka, oder in die Zukunft wie H. G. Wells in „Die Zeitmaschine“ oder in „Unsichtbare Städte“ wie Italo Calvino oder gen Übersee auf dem Deck eines großen Schiffes, um den legendären Fisch namens Moby-Dick zu fangen, oder er erklimmt den höchsten Berg Afrikas, den verschneiten Kilimandscharo. Und wer aus Bitterkeit oder Bösartigkeit nicht schlafen kann, begibt sich auf eine „Reise ans Ende der Nacht“ wie Céline.