Die Ich-Pleite

Die marmorierte Baumwanze

Carolina Frank
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Die marmorierte Baumwanze stammt aus Japan. Genauso wie Sushi, Spielkonsolen und Selfiesticks. Aber sie ist bei Weitem nicht so beliebt. Obwohl sie mindestens so harmlos ist. Wenn nicht harmloser.

Nicht einmal den grünen Blättern, auf denen sie normalerweise lebt, schadet sie. Die sind mit Schnecken, Raupen und Miniermotten Schlimmeres gewöhnt. Aber da sieht man wieder einmal, dass sich der Mensch beim Objekt seiner Liebe im Allgemeinen eher an äußeren Werten orientiert. Denn ein Insekt, das „Baumwanze“ heißt, vulgo „Stinkwanze“, und auch so aussieht bzw. riecht, hat natürlich schlechte Karten. Kein Wunder, dass sie in der Beliebtheitsskala von Haustieren ganz unten neben den Silberfischchen und Küchenschaben rangiert.

Dabei will sie im Herbst offenbar nichts lieber, als bei uns zu wohnen. Wenn die Bäume langsam kahl werden und die Luft kühler wird, klebt sie in Scharen an unseren Fensterscheiben und nutzt jedes noch so kleine Window of Opportunity, um herein­zufliegen. Spätestens dann wird klar, woher die Baumwanze ihren Vulgo­namen hat. Die Baumwanze stinkt normalerweise genauso wenig wie ein Marienkäfer. Aber wenn sie in die Enge getrieben wird, sondert sie einen unangenehmen Geruch ab. Dafür kann man ihr eigentlich nicht böse sein. Da würde jeder stinkig werden. Deshalb rät mir ein Zeitungsartikel, dass ich Stinkwanzen nicht mit dem Staubsauger verfolgen soll. Oder sonst wie vom Leben zum Tod befördern. Will man aber trotzdem die eigene Wohnung nicht der Stinkwanzenpopulation als Winterquartier überlassen, steht man vor einem Dilemma. Ent­weder stinkt es in der Wohnung, weil man das Fenster aufmacht. Oder es stinkt in der Wohnung, weil man es nicht aufmacht. 

("Die Presse Schaufenster" vom 05.11.2021)

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