Diskussion: Halbe Arbeit, volle Karriere?

Diskussion Halbe Arbeit volle Karriere
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Was tun Unternehmen, um Mitarbeiter vor dem Burnout zu bewahren. Und was kann jeder Einzelne selbstverantwortlich dazu beitragen? Flexibilität und Individualität im Fokus der fünften Veranstaltung des „Presse“-Formats „Kanzlei & Karriere“.

In Zeiten, in denen das Burnout-Syndrom zum dramatischen Sinnbild einer Leistungsgesellschaft geworden ist, die Arbeitswochen mit 60 und mehr Stunden mit sozialer Anerkennung honoriert, werden Fragen nach „gesunden“ Alternativen zum Workoholic-Dasein immer dringlicher. Wie sieht es mit flexiblen Arbeitszeitmodellen in den heimischen Unternehmen aus? In welcher Art unterstützen Betriebe Mitarbeiter, die sich dem „Diktat“ der täglichen Arbeit bis in die Nachtstunden nicht unterwerfen wollen? Wie lassen sich heutzutage noch Familie und Karriere unter einen Hut bringen? Und was empfehlen Experten, um den Umgang mit Stress im Sinne einer positiven Work-Life-Balance zu erlernen?

„Presse“-Moderator Nikolaus Koller richtete die Fragen im Rahmen der Veranstaltung „Kanzlei & Karriere“ an eine prominent besetzte Runde. Rede und Antwort standen als Podiumsgäste Managementberaterin Angela Dum, HR-Managerin Michaela Foissner-Riegler, die Anwälte Ralf Peschek und Stefan Kühteubl sowie Trendforscher Harry Gatterer. Motto des Abends im Souterrain des Palais Coburg: „Halbe Arbeit, volle Karriere? – Sabbaticals, Teilzeit und Co. als Alternativen vor dem Burn-out“.

»„Mit 40 Wochenstunden oder Teilzeitarbeit die Karriereleiter erklimmen? Durchaus möglich. Bei uns gibt es Beispiele dafür.“
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Ralf Peschek, Leiter des Arbeitsrecht-Teams in der Kanzlei Wolf Theiss

Vollzeit, Teilzeit, Pausenzeit

Kann man auch mit 40 Wochenstunden oder Teilzeitarbeit die Karriereleiter erklimmen? „Das ist durchaus möglich. Bei uns gibt es Beispiele dafür“, meint Ralf Peschek, Leiter des Arbeitsrecht-Teams in der Großkanzlei Wolf Theiss, der selbst eine 50- bis 55-Stunden-Woche angibt und seine Konzipienten eher davor abhalten muss, „nicht viel zu viel zu arbeiten“. Auch Michaela Foissner-Riegler, HR-Managerin bei Ikea Österreich, hat keine Freude mit Mitarbeitern, die ständig bis 20 Uhr oder länger in der Firma sind: „Das entspricht nicht unserer Unternehmensphilosophie. Wir achten etwa darauf, dass Meetings spätestens um 17, 18 Uhr beendet sind. Schließlich sollen die Menschen ja auch noch zu einer vernünftigen Zeit zu ihrer Familie nach Hause kommen.“

Das Problem, Familie und Beruf zu koordinieren, kennt Stefan Kühteubl, Partner der Rechtsanwaltskanzlei Engelbrecht und Partner, als frisch gebackener Vater von Drillingen besonders gut: „Es wäre gelogen zu sagen, dass dies einfach ist, insbesondere als Anwalt, der seinen Mandanten verpflichtet ist. In unserer Familie ist es so, dass meine Frau ihre Karriere zurückgesteckt hat. Ansonsten könnte ich mich meinem Beruf wohl nicht 55 bis 60 Stunden pro Woche widmen.“

»„Ich habe zwei Mal mehrmonatige Pausen vom Beruf eingelegt. Der Karriere hat das in keiner Weise geschadet.“
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Angela Dum, Mitglied der Geschäftsleitung des Strategieberaters Booz & Company

Eine gewisse Skepsis, ob sich Teilzeitarbeit und Karriere ohne weiteres vereinbaren lassen, hegt auch Angela Dum, Mitglied der Geschäftsleitung des internationalen Strategieberaters Booz & Company: „Am Anfang der Karriere wohl eher nicht. Erst mit der Zeit lässt sich das Arbeitspensum unter Umständen vorübergehend auf 60 bis 70 Prozent zurückschrauben, ohne dass gleich Konsequenzen drohen würden.“ Dass sich hingegen intensive Berufsphasen mit längeren Pausen vertragen können, weiß Dum aus eigener Erfahrung: „Ich habe zwei mehrmonatige Pausen in meiner Karriere eingelegt, das letzte Mal vor rund zwei Jahren, um mein US-Küstenpatent zu machen. Ich selbst hatte keine gravierenden Probleme, mich wieder in die Arbeit einzuklinken, und sehe da auch grundsätzlich keine Unverträglichkeit.“

Der flexible Arbeitgeber

Schwieriger ist die Situation freilich, wenn die Abwesenheit vom Arbeitsplatz nicht Monate, sondern sogar Jahre dauert – wie im (immer noch frauentypischen) Fall einer längeren Karenz. „Da kann es schon sein, dass die Reintegration in ein Unternehmen, das sich in dieser Zeit möglicherweise gewandelt hat, problematisch wird“, glaubt Kühteubl. Eine Problematik, die auch Foissner-Riegler sieht: „Natürlich wollen wir Wissen und Kompetenz von verdienten Mitarbeitern nicht auf lange Dauer verlieren.“ Bei Ikea werden Mütter in Karenz daher aktiv darauf angesprochen, so bald wie möglich in den Beruf zurückzukehren. „Alles eine Frage des flexiblen und individuell abgestimmten Arbeitsmodells. Da gibt es ja genug Optionen wie beispielsweise das Home Office oder ein Wiedereinstiegspaket mit 15 bis 20 Wochenstunden“, so Foissner-Riegler.


Der Arbeitgeber als flexibler Partner, der selbst unter härtestem wirtschaftlichem Konkurrenzdruck ein offenes Ohr für die persönlichen Zeit-Anliegen seiner Angestellten hat? „Auf jeden Fall. Ein wertvoller Mitarbeiter muss es Wert sein, dass man sich mit ihm zusammensetzt. Schließlich ist mir ein zufriedener Mitarbeiter mit ausreichend Freiraum lieber als ein geknechteter, der am Rande seiner Kraft ist“, erklärt Steafn Kühteubl und bringt das Beispiel eines „ausgelaugten“ Konzipienten, dem er das Angebot unterbreitete, eine Zeit lang nur von Montag bis Donnerstag zu arbeiten. „Der Mitarbeiter hat die Möglichkeit genutzt und war in der Folge bald wieder willens mit Freude Vollzeit zu arbeiten“, so Kühteubl. „Wenn jemand zu mir kommt und konkret Ziel und Zweck für eine eventuelle Pause oder temporäre Arbeitszeitverkürzung vorbringt, dann findet sich mit Sicherheit eine Lösung.“, ist auch Ralf Peschek überzeugt.

Eine Lösung, die laut Angela Dum nicht unbedingt erst bei Auftreten von Erschöpfungssyndromen ansetzen sollte: „Ein Teil meiner eigenen Beurteilung besteht darin, wie gut oder schlecht es um die Work-Life-Balance meiner Mitarbeiter bestellt ist. Es liegt demnach auch in meinem beruflichen Interesse, darauf zu achten. Wir beugen unter anderem vor, indem jedem Mitarbeiter oder auch Partner zwei Mentoren zur Seite hat, die Feedback geben, beraten und helfen.“

»„Wir haben in Österreich eine ausgeprägte Leistungskultur, in der Menschen, die nicht im Dauerstress sind, kritisch beäugt werden.“
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Harry Gatterer, Trendforscher und Geschäftsführer des Zukunftsinstitut Österreich

Freude an der Selbstverantwortung

Dass Unternehmen anscheinend immer stärker am Angebot von flexiblen Arbeitszeitmodellen interessiert sind, begrüßt der Trendforscher und Geschäftsführer des Zukunftsinstitut Österreich, Harry Gatterer: „Wir haben in Österreich eine ausgeprägte Leistungskultur, in der Menschen, die nicht im Dauerstress sind, kritisch beäugt werden. Die Anforderung stetig zu wachsen und sich zu positionieren besteht sowohl im Beruf als auch privat.“

Da sei es notwendig, dass Unternehmen jedem Einzelnen Mitarbeiter dabei helfen, damit umzugehen. Auch wenn in Anbetracht aller Zwänge und Erwartungen von innen wie von außen die Unternehmen nicht alleine für das Wohl ihrer Mitarbeiter verantwortlich gemacht werden können. „Betriebliche Rahmenbedingungen schön und gut. Letztlich liegt es aber an jedem selbst, wie er seinen persönlichen Reifungs- oder Gesundheitsprozess hinbekommt und gleichzeitig Arbeitstalent und –willen integriert“, glaubt Gatterer.

Das Handling bleibe beim Individuum und die Selbstverantwortung steigt. Und mit der Selbstverantwortung wächst eventuell auch der Stress. Ein Stress, der aber nicht unbedingt negativ sein muss. „Solange die Balance zwischen Arbeit, Familie und dem eigenen Selbst stimmt und vor allem Freude im Spiel ist, hat das Burnout-Gespenst keine Chance“, so die Diskutanten unisono.

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