Pizzicato

Der gebildete Trinker

Greber
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Der Typ in der Bar hatte offenbar den ganzen Tag lang gesoffen und sah ziemlich bedient aus. Dennoch plauderte er mit einem Kumpel ohne Lallen auf hohem Niveau über Wissenschaft und Technik.

Am Samstag stand er vor mir an der Supermarktkassa: ein Typ in Jeans, Parka, dunkelhaarig, unrasiert, zerknittertes Gesicht. Etwa so Ende 30, Mitte 40. Er legte eine Dose Bier aufs Band und nahm ein kleines Fläschchen Wodka aus dem Regal mit Quengelwaren für Kinder, Süßler und Süffel. Es war zehn am Morgen. „G'sundheit!", dachte ich. Wird sicher ein lustiger Tag für den.

Gegen 17 Uhr ging ich in mein Stammbeisl. Wer saß am Nebentisch? Der Typ vom Vormittag. Er plauderte mit einem Freund. In der Stunde, die ich dort war, trank er zwei große Bier und orderte noch eines. Er schien ziemlich bedient, sprach langsam, rollte die Wörter schwer vor sich her wie Felsbrocken. Aber weder lallte er noch redete er wirr. Im Gegenteil: Die zwei sprachen über Wissenschaft und Technik. Über Elektroautos, Batterien, Chemie, Thermodynamik, sogar stellare Astronomie – und zwar auf einem Niveau, wo die meisten aussteigen.

„Wasserstoff gibt's jo in drei Formen, also Isotopen, des Hydrogenium, Deuterium und Tritium", sagte er etwa. Kommt Ihnen das auch so locker von der Zunge? Oder: „Das Einzige, was im Universum was Neues schafft, etwas erzeugt, das sind die Sterne. Mit der Kernfusion. Und als Supernova und so. Das macht alle natürlichen Elemente. Eisen, Kohlenstoff, Gold und so weiter. Im Grund war auch Erdöl einmal Sonne.“

Ich nahm einen tüchtigen Schluck, dachte an Roth, Bukowski, Hemingway, auch wenn das Literaten waren und keine Wissenschaftler, und war nachdenklich ob diesem klugen Manne, den der Teufel reitet. Es gibt so viele Nüchterne, die depperter sind. (wg)

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2021)

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