Lancias Zukunft soll vollelektrisch sein: Wenn das nur gut geht!
Fans der Marke sollten eventuell gar nicht weiterlesen. Lancisti gelten als etwas dünnhäutig, wenn es um die Asche ihrer großen Liebe geht. Ob die mit der Stellantis-Gruppe, zu der Lancia heute gehört, in richtigen Händen ist? Die Anzahl an Problemkindern im Konzern ist mit Opel, Vauxhall, Fiat und Alfa Romeo schon recht ansehnlich. Für Lancia werden Elektrifizierungsplänen gewälzt, und die Historie wird nach Alleinstehungsmerkmalen durchforstet, mit denen sich ein Comeback zieren ließe.
Um die Arbeit zu erleichtern: Ihre erfolgreichste Zeit hatten die Turiner immer, als sie hemmungslos Geld verbrennen durften. Erst jenes von Firmengründer Vincenzo und seinem Sohn Gianni plus Investoren – aus dieser Phase rührt das Markenfundament aus technischem Fortschritt, Eleganz und Sportlichkeit. Nach der ersten Pleite 1955 wird die Kohle des Zementbarons und neuen Eigentumers Pesenti mit der gleichen Begeisterung verheizt – samt der pikanten Note, dass der Finanzier im Hintergrund wohl der Vatikan war. Immerhin dürfen Modelle wie Flaminia, Flavia und Fulvia als die bisher wahrscheinlich segensreichste Verwendung der Kollekte gelten.

1969 übernimmt Fiat und damit die einzige Gruppe mit noch mehr Macht auf Erden: die Familie Agnelli. Ihr Pragmatismus soll Lancia auf neue, gewinnorientierte Wege führen. Und nebenbei den Fiat-Erzfeind Alfa Romeo in die Knie zwingen. Nur Letzteres gelingt, das Management des Staatskonzerns hätte es aber wahrscheinlich auch ohne Assistenz von außen geschafft. Zugleich wirft Lancia etwa 25 Jahre lang eine Siegerwaffe nach der anderen in die Rallyeschlacht. Zum Teil mit kuriosen Begleiterscheinungen: Als Lenkradvirtuose Sandro Munari die eigentlich hoffnungslos unterlegene Fulvia im Jänner 1972 in Monte Carlo auf das Siegerpodest fährt, ist die Produktion des Coupés schon eingestellt. Wegen der darauf folgenden Bestellflut werden die abgebauten Montagebänder rasch wieder eingerichtet, die Produktion läuft gut fünf weitere Jahre. Die Begeisterung schlägt bis zu den Wiegen durch: Fulvia wird schlagartig einer der beliebtesten Taufnamen in Italien. Neben dieser Siegeraura verblasst der aufwendig in Position gebrachte Nachfolger Beta als ungeliebter Nobody.
Der Stratos wird überhaupt nur gebaut, um Rallyes zu gewinnen. Das verschlingt Unsummen, die das Unternehmen mit dem Verkauf von Zivilversionen nie verdienen kann – nicht einmal 500 Stück schaffen es auf die Straße. Es kommt noch schlimmer: Als das Regelement verlangt, dass Rallyeautos auf Serienfahrzeugen basieren müssen, wird 1980 die zwei Jahre davor eingestellte Produktion des Beta Montecarlo wieder aufgenommen – nur um die Fahrgastzelle für die neue Wunderwaffe 037 zu liefern. Angeblich kann man in der alten Fiat-Zentrale von Lingotto bis heute das Heulen der verzweifelten Buchhalterseelen hören.
Auf den 037 folgt der noch ärgere S4, mit dem Lancia einige der besten Rallyetalente dieser Zeit verheizt – leider wortwörtlich, denn die GFK-Boliden erweisen sich als leicht entzündlich – das ist dann auch gleich das Ende der brisanten Gruppe B. Worauf der bereits elf Jahre alte, eigentlich biedere Kompaktklässler Delta mit Allrad und Turbomotoren aufgerüstet wird. Als erfolgreichstes Rallye-Auto aller Zeiten fährt er 1987 bis 1992 sechs Weltmeistertitel ein.
Nebenbei passieren Lancia in dieser Zeit wunderbare Serienmodelle, wie der Shooting Brake Beta HPE, das herzige Hackebeil Y, der noble Thema (für Mutige auch mit Ferrari-V8 angeboten), das rare Kappa-Coupé und der Schöngeist Thesis.

1986 geht Alfa Romeo zum symbolischen Preis von einer Lira an Mamma Fiat. Hoffnungslos überzahlt, finden viele bis heute. Gewerkschafts- und Parteiapparatschiks von Alfa Romeo ziehen in die Fiat-Chefetage ein und bringen mit, was sie am besten beherrschten: Misswirtschaft und Inkompetenz. Am langjährigen Stachel in ihrer Seite, Lancia, nehmen sie bittere Rache – die Marke wird demontiert und steigt vom Juwel zum Schatten ihrer selbst ab. Lancias Revanche: Auf dem letzten verbliebenen, dem Heimmarkt Italien, verkauft sich das einzige Modell, der schon arg angejahrte Ypsilon, konstant besser als alle Alfas weltweit zusammen.
Schlimm, falls das als Begründung für die Wiederbelebung ausreichen sollte. Stellantis-Chefdesigner Jean-Pierre Ploué arbeitet jedenfalls an drei Konzepten. Der nächste Ypsilon wird sich wohl die Batterieplattform mit dem Fiat 500e teilen. Zweifellos ein guter Weg, um ähnlich ansehnliche Stückzahlen wie bisher künftig zu verhindern. Das Kompakt-SUV auf Basis des Peugeot 2008 wird frühestens 2024 auf den Markt kommen, alternativ könnte auch ein Alfa Romeo Tonale darunter stecken. Wenn er sich weiterhin verspätet, ist der Lancia sogar früher da. Der Hatchback ist schließlich 2026 zu erwarten und wird dafür wohl auf einer neuen Elektroplattform des Konzerns stehen – die jetzige 400-Volt-Technik ist für hochgesteckte Leistungsziele kaum mehr geeignet. Das Modell wird wahrscheinlich den Namen des ewigen Rallyehelden Delta leihen. Eine andere Option ist für die zahlreichen, noch standhaften Fans der Marke eventuell noch schlimmer: Was Stellantis dringend fehlt, ist ein Tesla-Gegner. Die Individualismus-Aura von Lancia könnte auch dafür herhalten müssen. Womit die Marke, die ihren Ruf stets auf hochwertiger Motortechnik begründete, wohl noch toter wäre als jetzt. ende