EU-Beitritt Kroatiens: Das Volk ist (noch) schwach

EUBeitritt Kroatiens Volk noch
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Reportage. Experten bescheinigen Kroatiens Wirtschaft große Chancen bei einem EU-Beitritt. Unternehmer sind dennoch skeptisch. Das Land hat nach wie vor mit einem typischen Balkan-Problem zu kämpfen: Korruption.

Auf dem Ban-Jelaćić-Platz in der kroatischen Hauptstadt Zagreb herrscht geschäftiges Treiben. Immer wieder hält eine der Straßenbahnen und spuckt Dutzende Menschen aus. Neben dem Denkmal für den Namensgeber des Platzes haben Musiker einen Stand aufgebaut. Von dort aus führt eine Treppe zum Markt. „Ich bekomme gerade mal hundert Euro Rente“, schimpft eine alte Marktfrau. Auf einem Campingtisch hat sie in Plastikschüsselchen Frischkäse drapiert – für ein Stück, groß wie zwei Handteller, verlangt sie 60 Cent. Sie kommt jeden Tag vom Land nach Zagreb gefahren, ein paar Kühe und Schweine hat sie noch, erzählt sie. „Wenn ich das nicht hätte, müsste ich betteln gehen“, sagt die Rentnerin.

So wie ihr geht es vielen: Zwei von drei kroatische Rentnern müssen von umgerechnet 300 Euro im Monat leben, und das bei steigenden Preisen. Ein EU-Beitritt Kroatiens? Die Marktfrau winkt ab. „Was soll mir der bringen?“

Kroatien hat Potenzial

In einem Café sitzt Sibila Petlevski. Die Präsidentin des PEN-Clubs ist zwar „pro Europa“, wie sie betont. Aber sie beklagt auch, dass es in der EU „vor allem um Wirtschaft und Sicherheitsfragen“ gehe. Zudem bereite ihr die Pogromstimmung gegen die Roma in Frankreich, Italien und Ungarn Sorgen, wie auch der zunehmende Nationalismus in Mittelosteuropa. „Ich bin als Europäerin ziemlich bestürzt.“ Mit ihrer Skepsis ist die Autorin nicht alleine. Laut einer Umfrage ist nicht einmal jeder zweite Kroate für einen EU-Beitritt.

Auch der Winzer Damir Režep ist skeptisch. Er lebt in einem kleinen Dorf außerhalb von Zagreb, wo er und seine Mutter pro Jahr rund 40.000 Flaschen Wein produzieren. „Wir bedienen fast ausschließlich den kroatischen Markt.“ Damit werde ein Jahresumsatz von etwa 70.000 Euro erreicht. Heuer hat der Winzer erstmals ins Ausland exportiert. Das will er mit Blick auf den EU-Beitritt Kroatiens auch weiter tun. Im Visier hat er dabei Deutschland und Österreich. Der EU-Beitritt seines Landes bereitet ihm aber auch Sorgen. „Wir haben Slowenien vor Augen“, erzählt er, „die Preise für Wein sind dort in den Keller gegangen, der Markt wurde überschwemmt von Weinen aus dem Ausland.“

Peter Presber, Geschäftsführer der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer in Zagreb sagt: „Kroatische Lebensmittel haben in der Region einen ausgezeichneten Ruf.“ Dieser hohe Standard müsse gehalten werden. Insgesamt bescheinigt der Ökonom Kroatien ein großes wirtschaftliches Potenzial. „Das Land steht mit seinem Bruttoinlandsprodukt besser da als so manches neue EU-Mitgliedsland“, sagt Presber. Auch bei Zukunftstechnologien könne Kroatien ganz vorn mitspielen, beim Ausbau der Infrastruktur lasse sich auch Geld verdienen.

Zum Beispiel in der Zentralkläranlage in Zagreb (ZOV). Dort ist der deutsche Energieversorger RWE eine Liaison mit der Stadt eingegangen. „Wir haben eine neue Straße gebaut, eine Brücke, Abwasserleitungen, eine Kläranlage“, sagt Manager Ante Pavić und zeigt auf 130 Hektar Klärbecken. Es ist Faulschlamm, der hier aufbereitet und in Biogas umgewandelt wird. Insgesamt vier Megawatt erzeugt die Anlage – das reicht fast für den Eigenbedarf. 30 Mio. Euro haben die ungleichen Partner RWE und die Stadt investiert. Der Vertrag läuft über 28 Jahre. Wenn es nach Pavić ginge, wäre Kroatien längst EU-Mitglied. „Kroatien ist nicht der Balkan, es befindet sich im Herzen Europas.“

Kampf gegen Korruption

Allerdings hat das Land nach wie vor mit einem typischen Balkan-Problem zu kämpfen: Korruption. „Und die ist immer noch weit verbreitet“, sagt Tomislav Petrović von Transparency International. Er beklagt, dass jährlich geschätzte 800 Mio. Euro in dunklen Kanälen verschwinden. Angefangen bei der sogenannten „Schalterkorruption“, um Behördengänge zu beschleunigen, bis hin zu Mauscheleien im großen Stil, die höchste politische Kreise erreichen. Der frühere Regierungschef Ivo Sanader etwa soll millionenschwere Beraterhonorare bei der Rettung der Hypo Alpe Adria Group eingestrichen haben. Gegen ihn ermittelt eine neu geschaffene Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft, es gilt die Unschuldsvermutung.

Auch der frühere Wirtschaftsminister Damir Polančec musste wegen der sogenannten „Spice-Affäre“ um den Lebensmittelkonzern Podravka zurücktreten. Im Zuge von Aktienmanipulationen wurden 34 Mio. Euro veruntreut. Dennoch meint Presber von der Deutsch-Kroatischen Handelskammer, dass der Kampf gegen Korruption erste Erfolge zeige. Auch die neue Mitte-rechts-Koalition hat sich der Beseitigung von Korruption verschrieben. Regierungschefin Jadranka Kosor versucht nun, sich von ihrem einstigen Ziehvater Sanader abzusetzen. Aber die Bürde der Vergangenheit ist schwer, die Altlasten lauern überall. „Ein Amt wird leider immer noch als Beute angesehen“, betont Petrović von Transparency. n-ost

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29. Oktober 2010)

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