Belarus-Migranten

Putin setzt auf Dialog zwischen Berlin und Minsk

APA/AFP/BELTA/LEONID SHCHEGLOV
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Tausende harren an der EU-Außengrenze bei Temperaturen um den Gefrierpunkt aus. Russlands Präsident regt direktes Gespräch Merkels mit Lukaschenko an - Diskussion über Hilfe in Deutschland.

Angesichts der Krise um Tausende Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze hofft Russlands Präsident Wladimir Putin auf einen direkten Dialog zwischen Deutschland und dem autoritär geführten Belarus. "Ich habe es aus Gesprächen mit Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko und Kanzlerin (Angela) Merkel so verstanden, dass sie bereit sind, miteinander zu sprechen", sagte Putin in einem Interview, das am Samstag im russischen Staatsfernsehen ausgestrahlt wurde.

In der Grenzregion blieb die Situation angespannt. Weiterhin harren auf der belarussischen Seite der Grenze Tausende Migranten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf der belarussischen Seite in provisorischen Camps im Wald aus. Zudem versuchten wieder Gruppen von Migranten in der Nacht auf Samstag, die Sperranlage zu durchbrechen und illegal die Grenze zu Polen zu überqueren. Polens Verteidigungsministerium berichtete über verstärkte Bewegung belarussischer Sicherheitskräfte in der Nähe des Grenzorte Kuznica.

Am Samstag wurde laut der Nachrichtenagentur Reuters ein polnischer Soldat an der Grenze zu Belarus versehentlich durch den Schuss aus einer Waffe eines Kameraden getötet. "Nach vorläufigen Erkenntnissen gab es einen Schuss aus einer Dienstwaffe, in dessen Folge der Soldat starb, und es waren keine Dritten an dem Ereignis beteiligt", heißt es in einer Erklärung des Kommandanten der Einheit des Soldaten, die von seinem Sprecher Stanislaw Zaryn auf Twitter veröffentlicht wurde.

Wegen der Krise um die Migranten, die an der EU-Außengrenze gestrandet sind, hatten Merkel und Putin mehrfach miteinander telefoniert. Dabei bat die Kanzlerin den Kremlchef um ein Eingreifen in den Konflikt. Später hatte der Kreml mitgeteilt, dass Moskau sich um eine Lösung bemühen wolle. Zu Putins Vorschlag eines Gesprächs zwischen Merkel und Lukaschenko sagte ein Sprecher der deutschen Bundesregierung: "Über Telefonate informieren wir grundsätzlich, nachdem sie stattgefunden haben."

Putin kritisiert polnischen Grenzschutz

Die EU wirft dem oft als "letzten Diktator Europas" kritisierten Lukaschenko vor, gezielt Migranten aus Krisengebieten einfliegen zu lassen und weiter in Richtung Polen zu schleusen. Vermutet wird, dass der 67-Jährige sich so für Sanktionen rächen und den Westen zum Dialog zwingen will.

Putin sagte mit Blick auf Drohungen aus Minsk, er hoffe, dass Lukaschenko in dem Konflikt mit dem Westen nicht den Gastransit einstelle. Er habe zweimal mit Lukaschenko gesprochen. "Er hat das nicht einmal erwähnt. Aber er kann das tun. Aber das führt zu nichts Gutem, und ich spreche natürlich mit ihm über das Thema", sagte Putin. Ein Stopp des Transits wäre auch eine Verletzung der Vereinbarungen zwischen Russland und Belarus. "Ich hoffe, dass es dazu nicht kommt", so Putin. Lukaschenko hatte vor einigen Tagen damit gedroht, den Gastransit durch die Jamal-Europa-Leitung einzustellen.

Russland hat dem Kreml zufolge nichts mit der Krise in der Grenzregion zu tun. Keine russische Fluggesellschaft sei daran beteiligt, "diese Leute zu transportieren", sagte Putin. Zugleich warf er dem polnischen Grenzschutz "inhumanes Handeln" vor. Nach Angaben von Putin kommt es jetzt dazu, dass "polnische Grenzschützer und Vertreter der Streitkräfte diese potenziellen Migranten schlagen, über ihren Köpfen aus Kampfwaffen in die Luft schießen, nachts Sirenen und Licht anschalten an den Aufenthaltspunkten, wo Kinder und Frauen in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft sind".

Diese Angaben, wie auch die der polnischen und belarussischen Sicherheitskräfte, lassen sich nicht unabhängig überprüfen, da Polen in der Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt hat. Journalisten und Helfer dürfen nicht hinein. Das gilt auch für das Grenzgebiet auf belarussischer Seite.

Tränengas für Migranten

Putin erklärte zudem, dass sich westliche Sicherheitsorgane und Geheimdienste um Schleusernetzwerke kümmern sollten, die in Europa agierten. In Polens Grenzgebiet fand die Polizei eine weitere Leiche. Bei dem Toten handle es sich um einen 20 Jahre alten Mann aus Syrien, sagte ein Sprecher der Polizei in der Woiwodschaft Podlachien am Samstag der Nachrichtenagentur PAP. Demnach wurde die Leiche von einem Forstarbeiter in einem Waldstück nahe des Dorfes Wolka Terechowska entdeckt. Der Tote habe einen syrischen Pass bei sich gehabt. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung soll Aufschluss über die Todesursache geben. In dem Grenzgebiet sind schon mehrere Menschen gestorben.

Zudem versuchte in der Nacht auf Samstag eine Gruppe von hundert Migranten bei Wolka Terechowska vergeblich, die Grenze zu durchbrechen. Die Gruppe sei von belarussischer Seite mit Tränengas ausgestattet worden und habe dieses gegen polnische Sicherheitskräfte eingesetzt, teilte Polens Grenzschutz per Twitter mit. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Warschau schickt Belarus immer mehr bewaffnete Sicherheitskräfte an die Grenze. Das Ministerium veröffentlichte auf Twitter Videoaufnahmen, die in der Nähe des Grenzortes Kuznica entstanden sein sollen. Sie zeigen Dutzende von Uniformierten in Tarnanzügen, die entlang der polnischen Grenzbefestigung entlangmarschieren.

Lukaschenko ordnete humanitäre Hilfe vor allem für die Kinder der im Grenzgebiet zu Polen gestrandeten Migranten an. Es sollten etwa Essenszelte aufgestellt werden, meldete die belarussische staatliche Nachrichtenagentur Belta am Samstag. Später veröffentlichte Belta Fotos von Stromgeneratoren, die ins Grenzgebiet gebracht worden sein sollen. Mehrere Menschen drängten sich darum und luden ihre Handys auf.

Der oppositionelle belarussische Telegram-Kanal Nexta hingegen veröffentlichte Videos, auf denen zu sehen sein soll, wie belarussische Sicherheitskräfte in die Luft schießen, um Migranten einzuschüchtern. Unter den Menschen seien auch Kinder, "um die sich die staatlichen Propagandisten angeblich so sorgen", hieß es. Weil auch auf der belarussischen Seite unabhängige Journalisten nicht ins Grenzgebiet gelassen werden, können die Angaben derzeit nicht überprüft werden.

Am Abend teilte die syrische Airline Cham Wings auf Twitter mit, Flüge in die belarussische Hauptstadt Minsk einzustellen. Es sei zu schwierig, zwischen Passagieren zu unterscheiden, die tatsächlich nach Belarus wollten und solchen, die von dort weiterziehen wollten, hieß es. Nach Sanktionsdrohungen der EU hatte zuvor schon die Türkei entschieden, Staatsbürger mehrerer arabischer Länder nicht mehr von ihrem Staatsgebiet aus nach Belarus fliegen zu lassen.

(APA/dpa)

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