„Der Busek hat nichts zu sagen“

Literaturpolitiker Ernst Jandl.
Literaturpolitiker Ernst Jandl.(c) Aleksandra Pawloff
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Zwei Weltdichter – und zwei begnadete Strategen der heimi- schen Kulturpolitik. Ernst Jandl und Thomas Bernhard. Diese beiden. Der sozialdemokratische Pragmatiker Jandl und der Alleingänger Bernhard: ein Einblick.

In vielen, vor allem kulturpolitischen Fragen war es mir nicht gegeben, mit Ernst Jandl übereinzustimmen. Ichhabe einige Jahre – ich glaube, es waren vier – unter dem bombastischen Titel „Generalsekretär der Grazer Autorenversammlung“ als Jandls Assistent gearbeitet, und am Ende dieser Arbeit war das Arbeitsverhältnis, milde gesagt, zerrüttet.

Oft habe ich mich im Gefolge von Elias Canetti mit dem Begriff der „Verwandlung“ auseinandergesetzt. Aber wirklich begriffen, was Verwandlung sein kann, habe ich durch Ernst Jandl: Gerade war er einer von uns Alltagsmenschen gewesen, da las er seine Gedichte vor und wurde auf dem Podium, nein, nicht zu einem anderen, sondern zu dem Dichter, der er war. Diese Verwandlung erleben zu wollen, habe ich nie aufgehört, und das Glück, sie erlebt zu haben, hilft mir – bei aller Skepsis –, an „die Kunst“ zu glauben.

Dagegen versinkt im Anekdotischen, wasich an Einwänden gegen manche seiner politischen Überzeugungen und Strategien vorzubringen habe. Ich nehme von diesen Einwänden nichts zurück, sie betreffen ja auch nicht nur meine Wenigkeit, sondern sie sind vor allem gegen eine Variante von Sozialdemokratismus gerichtet, wie ihn JosefHaslinger, auch ein Assistent Jandls unterdem Titel „Generalsekretär“, beredt verteidigte. Haslingers Verteidigungsschrift erschien1990 in der Zeitschrift„Sinn und Form“ undhieß so schön: „Ich habe noch unter Jandl gedient“, ein Titel, der das Veteranenhafte unsererLiteraturbetriebsexistenz ironisch distanziert, der mich aber auch im Ernst an Herrschaft und Knechtschaft erinnert. – Heute scheinen mir meine Einwände von damals auf eine banale Weise zutreffend, mit mehr als einem „eh klar“ muss man sie nicht quittieren. Im Laufe der Zeit hat sich drastisch herausgestellt, wie sehr eine opportunistische Praxis die österreichische Sozialdemokratie entkräftet, fast schon ruiniert hat. Auch wenn ich selbst keine Neigungdazu habe, bin ich kein unbedingter Gegner des opportunistischen Pragmatismus, wie ihn in meinen Augen Jandl pflegte. Mir stand nur der Sinn nach Höherem, oder ohne Selbstironie: Ich glaube bis heute, dass aus einer Schriftstellervereinigung mehr herauszuholen gewesen wäre, als wir es unter der Leitung von Jandl auch nur versuchten.

Ich erinnere mich an einen seltsam komischen Vorfall, aus dem Jandls machtbewusste, sarkastische Intelligenz ebenso hervorging wie meine antipolitische Naivität: Aus einem heute vergessenen Grund hatte uns Erhard Busek, damals Wiener Vizebürgermeister, zu einem Gespräch eingeladen. Jandl und ich erschienen. Kaum erschienen, ergriff ich schon das Wort und ließ es nicht mehr los. Aber selbstverständlich hatte der Wiener Vizebürgermeister erwartet, er würde wesentliche Worte mit dem berühmten Schriftsteller und Literaturpolitiker Jandl wechseln können. Aber da war ich vor und weihte Busek in meine Gedankenwelt ein. Dies geschah gewiss ohne destruktive Absicht, es war halt mein Engagement, und „Engagement“ hat Jandl in einem Text als höchste Sachlichkeit definiert: „Bei der Sache sein, wirklich bei der Sache sein, ganz bei der Sache sein, mit allem herum, mit allem rings herum.“

Zum „rings herum“ gehört aber wahrscheinlich auch, dass die Leute, wenn sie überhaupt an der Sache interessiert sind, sie gerne von den Personen ihrer Wahl vertreten sehen, und Buseks Wahl war ich gewiss nicht. Es wurde mir hinterbracht, wie erstaunt und unangenehm berührt der Berufspolitiker war: Da hatte er einen wichtigenMann eingeladen, dernicht zu Wort kam, weilsein Adjutant, ein vollkommen unbekannter junger Mensch, es ergriffen hatte.

Auch Jandl konnte mit der von mir favorisierten Sachlichkeit nichts anfangen. Mein Engagement war mit seinem nicht vereinbar. Als wir das Rathaus verließen, erklärte er mir realpolitisch den Berufspolitiker Busek: „Der ist bei der ÖVP, in Wien ist die SPÖ an der Macht, die ÖVP hat nichts zu sagen, der Busek hat nichts zu sagen.“ Also hat auch Jandl nichts gesagt, und ich erschrak über die schweigsame Kaltschnäuzigkeit, die man einsetzt, falls man denkt,Reden bringt sowieso nichts.

Zwinge ich mich zu einem politischen Denken, von mir aus im Sinne einer „Kunst des Möglichen“, dann kann ich auch Jandls Handeln anders sehen als allein aus der Perspektive meiner moralisierenden Abwehr. Ich will an dieser Stelle eine These aufstellen, aus der ich mir die Berechtigung zu diesen Bemerkungen über Ernst Jandl herausnehme. Die These lautet, dass es in der Zweiten Republik nur zwei Dichter von Rang gab, die – wenngleich auf total unterschiedliche Weise – kulturpolitischen Einfluss hatten. Ich zähle Rudolf Henz zum Beispiel keineswegs dazu, und zwar nicht nur deswegen, weil er kein Dichter von Rang war. Henz bestand im Grunde aus nichts anderem als aus österreichischer Kulturpolitik. Diese Politik, behaupte ich, war kulturfeindlich, oder sie war zumindest der freien Entfaltung der Kunst im nationalen, kulturellen Rahmen gegenüber feindlich. Davon – und von der „Achsenzeit“, um die sich in meinem Aufsatz alles dreht, nämlich um den Anfang und um die Vorgeschichte der 1970er Jahre – gibt Thomas Bernhard in seinem Buch „Meine Preise“ ein Sittenbild: „Zu dieser Zeit waren vom Burgtheater meine ,Jagdgesellschaft‘ und ,Der Präsident‘ und Handkes ,Ritt über den Bodensee‘ aufgeführt worden, und das, man denke, veranlasste eine Abordnung des sogenannten Kunstsenats, angeführt von ihrem Präsidenten, dem Schriftsteller Rudolf Henz, beim Kulturminister im Ministerium in Form einer Resolution die Forderung zu deponieren, der Minister solle sich gefälligst dafür einsetzen bei der Burgtheaterdirektion, dass Bernhard und Handke nicht mehr aufgeführt werden. Bernhard und Handke seien, wie man ja in den Wiener Zeitungen tagtäglich lesen könne, schlechte, er selbst, Henz, und seine Leute im Kunstsenat seien gute Schriftsteller. Die Staatspfründner hatten aufgetrumpft!“

Bernhard macht sich nicht vor, er wäre ein höflicher Mensch. Das kulturpolitische Konzept heißt „Alleingang“, und der Alleingang ist gegen anderslautende Aussagen auf dieser Welt nun einmal nur möglich, wenn einenandere ein Stück des Weges mittragen. Der Alleingänger wird von Umständen gefördert, die er entweder verleugnet oder von denen er sich im Nachhinein (wenn er auf sie nicht mehr angewiesen ist) scharf distanziert. Ein „schlagender“ Beweis für diese These ist der Briefwechsel Thomas Bernhards mit seinem Weggefährten und Wegeebner Siegfried Unseld; es ist auch deshalb ein großartiges Buch, weil das ganze schriftstellerische Inventar, alles, was an der Literatur aufregt (die Dramen, der Verrat, die Annäherung, die Schuftigkeit, die große Geste), weil die sogenannten literarischen Mittel in dem Buch naturgemäß allein auf den Zweck des Literaturbetriebs bezogen sind: ein großes selbstbezügliches Werk, das hinter den Kulissen der Buchtitel das eigentliche Stück von Kunst, Geld und Charakter aufführt – eine wahre Pilgerschaft, wie da ein Verleger seinem Autor folgt, im wahrsten Sinne des Wortes „durch dick und dünn“.

Heute ist mir klar, dass in der Zweiten Republik Thomas Bernhard und Ernst Jandl die beiden Schriftsteller von höchstem Rang waren, die zugleich einen andauernden kulturpolitischen Einfluss ausübten. Bernhards Bemerkung über Rudolf Henz und dessen Kunstsenat bezeichnet außerdem eine gleiche Ausgangslage: In Jandls Nachlass finden sich generalstabsmäßige Aufzeichnungen aus der hoffnungsvollen Gründerzeit der Grazer Autorenversammlung darüber, gegen wen es geht. Auf einem Notizzettel steht in seiner klaren Lehrerschrift, die keinen Zweifel an der Note lässt, hervorgehoben „Arbeitsprogramm“ und darunter: „Kritische Revision der Bewertung der österreichischen Gegenwartsliteratur; Schwerpunkte: Schönwiese, Federmann, Milo Dor, Sebestyén, Tramin, Torberg.“

Jandl hat die Front gegen die Alteingesessenen durch eine Fraktionsbildung eröffnet. Eine Fraktion zu haben, die eine Front bildet, auch wenn sie nur aus Schriftstellern besteht (die für die veröffentlichte Meinung kaum mehr als Namen sind), heißt: immer angreifen zu können. Die Angriffe sind politisch in dem Sinne, dass sie nicht persönlich sind; es stehen viele Leute dahinter und nicht bloß einer, den man leicht übergehen könnte. Indem Jandl die Autorenversammlung ins staatliche Subventionssystem einführte, relativierte er den Einfluss seiner Gegner im schmerzlichen Punkt, in dem sie – lautBernhard – „Staatspfründner“ waren.

Die Übermacht der „Konservativen“ von damals ist heute schwer vorstellbar. Alfred Treiber, der spätere Chef des Radiosenders Ö1, hat im Rückblick festgestellt, dass nichts von dem, was heute die österreichische Literatur ist, damals hätte vorkommen sollen. „Mir hat Schönwiese seinerzeit“, sagte er in einem Interview für den „Falter“, „einen bitterbösen Brief geschrieben: ,Wenn Sie solche Leute als Literaten erfinden wie die vom letzten Donnerstag, nämlich die Frau Jelinek, ja dann sind Sie für das Literaturgeschäft im Radio völlig ungeeignet.‘“

Wen ästhetische Debatten kaltlassen, der kann sowohl in Bernhards polemisch deklariertem Alleingang als auch in Jandls sozialdemokratischer Strategie, Interessenten zu organisieren, einen typischen Kampf im literarischen Feld erkennen: Die Stigmatisierung der einen Gruppe als hoffnungslos rückständig, verkommen und verblödet, gegen die jetzt – endlich – die anderen, die wahren Künstler antreten, das ist ein systemimmanentes und daher auch unvermeidliches Ritual. Aber selten kann es so in Reinkultur erscheinen wie seinerzeit Anfang der 1970er-Jahre, als Jandl die Autorenversammlung gründete. Das liegt auch daran, dass in Österreich das kulturpolitische Übergewicht der einen Seite evident war und dass der innerösterreichischen Hegemonie unserer Gegner wenig Erfolg am entscheidenden deutschen Literaturmarkt entsprach. So konnte Jandl auch „gegen das Provinzielle“ Anhänger mobilisieren, und Bernhard konnte sich gut für seinen Alleingang motivieren: „Wie in keinem anderen Verein der Welt, wollte ich natürlich auch nicht im PEN-Club Mitglied sein.“

Ich glaube aber, und der Philosoph Ernst Strouhal hat das in einer unveröffentlichten Vorlesung dargelegt, dass Bernhards Entgegennahme des Kleinen Österreichischen Staatspreises ebenfalls eine kulturpolitische Sternstunde war: Da war ein Ausgezeichneter, der den Preis annahm, ohne aber die Regeln, die in Österreich für solche Annahmen gelten, im Geringsten zu achten. Seine Rede griff den Staat dort an, wo der Staat für einen Dichter angreifbar ist: an der geistigen Substanz. Bernhard hat das Entstehen dieser Rede aus der Peinlichkeit erklärt, überhaupt eine halten zu müssen, und er bezeichnete im Rückblick die Rede als philosophisch und irgendwie als absolut gut gemeint. Der Türen schlagende Minister und überhaupt der vom Dichter ausgelöste Skandal erscheinen aus dieser Perspektive als unverständlich. Das ist für mich offenkundig Camouflage – Bernhard, vermute ich, wusste schon von Berufs wegen genau, was er sagte; er ließ sich nicht als Extra-Dekoration in die Fassaden hineinstellen. Die Fassade des österreichischen Staates, der geistige Menschen zu den seinen macht, indem er sie auszeichnet, ihnen also mit einer Ehrung nahetritt, war mehr als bröckelnd.

Der Gegensatz in den kulturpolitischen Auffassungen zwischen Ernst Jandl und Thomas Bernhard lässt sich in einer Frage besonders gut konkretisieren. Einer der Epigonen – ein Nachzügler, der Thomas Bernhard dort, wo er ihn für bahnbrechend hält, also auf jedem Gebiet, unaufhaltsam hinterherfährt – ist Claus Peymann. Er hat in einem Interview die Rationalität der Subventionsgegner erklärt: „Imdeutschsprachigen Raumwird ohnehin so viel gefördert, dass es einem zum Hals heraushängt. Die Schriftsteller schreiben ja nur mehr, damit sie Förderungen kriegen. Jedes Kaff in Deutschland hat inzwischen einen Dorfautor. Auf jedem Quadratkilometer gibt es einen Literaturpreis – trotzdem kommt nichts dabei heraus.“

So sind sie, unsere Eliten. Der Burgtheaterdirektor von einst (der keinen Skandal mehr zusammenbringt und der heute in einer andauernden postskandalösen Stimmung lebt) hat so viel Geld verdient, dass er gar nicht auf die Idee kommt, selber subventioniert worden zu sein: Solche Unsummen verdient man doch nur privatwirtschaftlich und außerdem nur dann, wenn man sie sich wirklich verdient! Das ist der wahre kapitalistische Geist, im selben Atemzug, mit dem man die Förderung einstreift, andere als dafür ungeeignet zu bezeichnen. Dem, der den Hals nicht vollkriegen kann, hängt es zum Hals heraus, wenn andere was kriegen.

Aber tatsächlich, Bernhard hat sogar in einem seiner Stücke eine Figur mit der Äußerung betraut, man möge von der Kunstförderung ablassen, weil sie für den Künstler schädlich wäre. Es ist eine schöne Szene, die in „Ritter, Dene, Voss“ Voss der Ritter macht, nachdem diese gemeldet hat: „Es ist ja nur / einem jungen Künstler geholfen worden.“ – Mehr braucht es nicht, und Voss wird prinzipiell:„Jungen Künstlern ist nicht zu helfen / es gibt keinen größeren Unsinn / als jungen Künstlern zu helfen / überhaupt Künstlern zu helfen / ist Unsinn / Die Künstler sollen sich selbst helfen / vor allem die jungen Künstler sollen sich selbst helfen / dadurch wird ja aus den jungen Künstlern nichts / weil ihnen andauernd geholfen wird / wer einem Künstler hilft / vernichtet ihn.“

Jandls Genie war der Geniekult fremd, der sich mit solchen Konzepten bemerkbar macht. Es sind schon Künstler vernichtet worden, weil man ihnen nicht geholfen hat. Gewiss, Voss ist eine Figur, er ist nicht Bernhard, aber warum sollte man die entschiedene Meinung einer Figur, und sei es im Hinblick auf ihren Autor, nicht diskutieren? Was Literaturförderung betrifft, kann man ruhig pragmatisch sein – so wie es Bernhardden Literaturpreisen gegenüber ja auch mit Recht war: Nachdem er finanziell keinen mehr benötigte und die „Ehre“, auch weil sie inflationär verteilt wurde, sowieso immer ablehnte, nahm er keinen mehr an. Ähnlich pragmatisch kann man auch die Literaturförderung sehen: Sie hat die Funktion, Arbeit zu ermöglichen, durch die man wiederum ein Einkommen erwirbt, das die Förderung schließlich überflüssig macht. Das Problem ist, dass ein subventioniertes Milieu entstehen kann, das abhängig vom Staat ist und sich von dieser Abhängigkeit nicht mehr befreien will. In den Förderungen spiegelt sich aber auch die berechtigte Skepsis, dass der sogenannte Markt allein nicht alles durchsetzt, was in der Kunst einen Wert hat.

Ich erzähle gern (und durchaus etwas übertrieben) die Geschichte von einer Autofahrt. Beim Fenster hinausblickend, wurde Jandl eines schönen Hauses gewahr. Er sagte nicht: „Das möchte ich haben.“ Er sagte: „In solchen Häusern sollten Schriftsteller wohnen, man sollte solche Häuser Schriftstellern zu Verfügung stellen“, und dann, illuminiert, wie er auf dieser Fahrt war, fantasierte er sich vor den anderen Insassen im Auto ein Reichvon bestens untergebrachten, hervorragendalimentierten Schriftstellern zusammen. Thomas Bernhard war Grundbesitzer, und ich erinnere mich an den zum Glück fehlgeschlagenen Versuch, eine Empörungdarüber zu entfachen,dass er Mitglied beim ÖVP-Bauernbundwar. Wer, wenn nicht er. – Jandl war seit 1951 Sozialdemokrat, und im Jahre 1975 war er ein „Österreicher für Kreisky“. In dieser Eigenschaft stellte er für die Wahlwerbung einen Text zur Verfügung. Jandl hatte eine ausgeprägte Fähigkeit für Trennungen: Er trennte den Schriftsteller, seine Kunst, von der realpolitischen Sphäre. Zu Recht versuchte er nicht, den Eindruck zu erwecken, man könnte mit derselben Souveränität, mit der man Gedichte schreibt, über der Politik stehen und ihr vorschreiben, wie sie zu sein hat (oder ihr nachsagen, dass sie nichts als entsetzlich sei).

Gegen die moderne fragmentierte Existenz, die Jandl vorstellt, war Bernhard bei allen Widersprüchen schon eher bestrebt, die alte Utopie der Einheit der Person zu realisieren. Bernhard signalisierte Kompromisslosigkeit, und dort, wo er mit ihr in den Widerspruch geriet, klagte er sich selber an: „Ichbin nicht gewillt, 25.000 Schilling abzulehnen“, schrieb er über den Staatspreis, „ichbin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selber ein Schwein.“ Solche Selbstkritik, ob nun ironisch inszeniert oder nicht, zeigt den Dichter als Souverän, weil er sogar noch die eigene moralische Verworfenheit thematisiert, managt und seinen Lesern vorrechnet.

Jandl hatte nach meiner Erfahrung ein kleines, kein großes Problem mit der Demokratie. Manchmal stellte er Regeln für unseren Verein auf, die er sofort für ungültig erklärte, wenn sie seinen Interessen nicht mehr entsprachen. Dann sagte er zutreffend und mit einer entwaffnenden Logik: „Wir brauchen doch nicht Sklaven der von uns selbst aufgestellten Regeln zu sein!“ Er war ein durchsetzungskräftiger Mann mit einem Temperament, das sich nicht kontrollieren ließ (weder von ihm noch von anderen). So kannte ich ihn, und ich kannte auch von ihm, dass er solche Ausbrüche Gott sei Dank wieder zurücknahm.

Aber sowohl gegenüber Jandl als auch Bernhard zeigen sich die Schwächen moralisierender, aber auch moralischer Betrachtung. Das verbissene Kasperltheater des Briefwechsels mit Unseld kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr die Arbeit weiterging, die künstlerische und die verlegerische, wie da über viele Jahre eine Weltgeltung aufgebaut wurde. Auch Jandl hat ein Werk, das für ihn, für den Sinn seines Erdendaseins spricht. Darüber hinaus hat er keinen geringen Anteil daran, dass junge Leute und arme Leute, die dem Schriftstellerberuf anhängen, hierzulande nicht hoffnungslos dastehen. Man müsste Bernhards Alleingang und Jandls sozialen Sinn miteinander kombinieren, um eine Kulturpolitik zu machen, die über die sogenannten Kulturschaffenden nicht bloß verhängt ist. Das ist eine Quadratur des Kreises, und weit und breit zeigt sich niemand, der so etwas versuchen würde. Ich denke nicht mehr an den Kulturpolitiker Jandl, aber sehr oft an den Dichter und oft an den Menschen, mit dem ich im Garten des Arsenals saß, in einem Wirtshaus im Sommer, und er war freundlich, nicht ohne dass man ihm anmerkte, wie sehr er sich dafür anstrengte. ■

(c) Aleksandra Pawloff

Foto: Aleksandra Pawloff (www.pawloff.com)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2010)

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