Immobilien & Klimaziele

"ESG wird die Branche entscheidend verändern"

(C) Die Presse/Clemens Fabry
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ESG, eine neue EU-Regelung zur Erreichung der Klimaziele, wird auch Auswirkungen auf die Immobranche haben. ESG-Faktoren werden künftig eine zentrale Rolle bei der Ermittlung des Verkehrswerts einer Immobilie spielen.

Fragt man Peter Fischer, Immobilienexperte beim Beratungsunternehmen PwC, was ESG für die Immobilienbranche bedeutet, erhält man eine bemerkenswerte Antwort: „Es ist der Webstuhl des 21. Jahrhunderts, die einen werden diese Chance erkennen, die anderen nicht.“ ESG ist das Kürzel für Environmental, Social and Governance. Damit hat die EU im Sommer 2020 einen Rechtsrahmen zur Bewertung wirtschaftlicher Tätigkeit geschaffen. Diese Taxonomie soll mithelfen, die europäischen Klimaziele bis 2050 zu erreichen, und nach Ansicht von Experten ist sie ein starkes Instrument dazu.

Das Thema betrifft nicht nur börsenotierte Unternehmen und die Big Players der Immobilienbranche: „Die Stadt Wien will bis 2040 CO2-neutral sein“, erläutert Fischer als Beispiel. „Wenn sie das ernst nimmt, wird sie beispielsweise Bauvorhaben künftig nur an Unternehmen vergeben, die ESG-Kriterien einhalten.“ Die finanzierende Bank, die Gebäudeversicherung und viele andere Betriebe werden dann vermutlich ebenfalls nach ESG-Kriterien ausgewählt. Die Banken selbst werden letztlich bei der Kreditvergabe diese Bewertungen zum Nutzen des eigenen Ratings berücksichtigen – bei jedem Firmenkunden. Und es könnte noch weiter gehen: „Rein hypothetisch müsste der Betreiber eines Shoppingcenters schlechter bewertet werden, wenn er Textilfirmen als Mieter hat, die Kinderarbeit zulassen“, bringt es Fischer auf den Punkt.

Der PwC-Experte rät Unternehmen, insbesondere jenen, die im Bereich Immobilien agieren, das Thema ernst zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Die großen Players tun das schon: „ESG wird die Branche entscheidend verändern“, bestätigt etwa Herwig Teufelsdorfer, Vorstand der S Immo. „Wer sich der Aufgabe nicht stellt, wird massive Wettbewerbsnachteile haben.“ Das Unternehmen beschäftigt seit September einen Nachhaltigkeitsexperten. „Wir müssen unseren Bestand mit der ESG-Brille kennenlernen, um Handlungen abzuleiten und proaktiv zu reagieren“, sagt Teufelsdorfer. Es gehe darum, sämtliche Daten, die im Zusammenhang mit der Taxometrie erforderlich sind, zu ermitteln, zu verifizieren und daraus Verbesserungspotenziale abzuleiten. Standards für Reports und die interne Kommunikation sollen geschaffen werden. „Ziel ist, dass ESG zu einem normalen Teil des Tagesgeschäfts wird.“

Baustoff Holz ESG-konform

Auch Thomas Winkler, CEO des börsenotierten Immobilienentwicklers UBM, sieht das Thema ESG als „extrem wichtig“. Schon in der Vergangenheit habe man mit einer eigenen CSR-Abteilung Wert auf Nachhaltigkeit gelegt und im vergangenen Jahr die strategische Ausrichtung unter dem Motto „Green Smart and More“ grundlegend verändert. „Wir wollen der größte Holzbauentwickler Europas werden, ESG passt genau dazu“, sagt Winkler. Die Holzbauweise biete punkto Nachhaltigkeit wesentliche Vorteile, meint Winkler. So soll im ersten Quartal 2022 im Frankfurter Europaviertel mit dem Bau des ersten Holz-Hybrid-Bürohauses begonnen werden. Dank smarter Sensorik und intelligenter Haustechnik soll es nicht nur durch das Baumaterial ESG-konform sein. Ein weiteres „spannendes Projekt“, so Winkler, ist für die Obere Donaustraße in Wien geplant: das erste Holzquartier Europas mit gemischter Nutzung aus Wohnen und Büro. Hier wird unter anderem Geothermie ein Thema im Sinne von ESG sein.

Defizite im Bestand

Schlechter schaut es im Bestand aus. Peter Engert, Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (Ögni), hat bereits eine Reihe von Audits nach ESG-Standards durchgeführt und kam dabei zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die Mehrzahl der Immobilien den Kriterien nicht gerecht wird. Dabei wären sie durchaus erreichbar, betont der Experte: „Der Energieverbrauch müsste beispielsweise lediglich um zehn Prozent besser sein als der nationale Niedrigenergiestandard.“ Derzeit sind sechs Punkte für die Bewertung einer Immobilie definiert, nächstes Jahr werden weitere folgen, auch aus dem Bereich sozialer Nachhaltigkeit: „Wir arbeiten mit der EU daran, dass alle diese Kriterien messbar sind“, sagt Engert.

Alexander Redlein, Universitätsprofessor für Immobilien und Facility-Management an der TU Wien, rechnet zudem mit einem Run auf Monitoring-Systeme. „Monitoring ist das Um und Auf bei diesem Thema“, betont er. Umfassende Lösungen für alle relevanten Faktoren seien aber noch rar. Dabei plädiert Redlein dafür, die Kirche im Dorf zu lassen: „Es ist schon wichtig, das Thema mit Augenmaß anzugehen. Letztlich muss sich aber nach wie vor alles rechnen.“

AUF EINEN BLICK

Rund 40 Prozent des Energieverbrauchs sowie 36 Prozent der Kohlendioxidemissionen gehen auf das Konto von Bau und Betrieb von Immobilien. ESG

(Environmental, Social and Governance) soll das ab kommendem Jahr ändern. Die EU entwickelt dafür eine Taxonomie, mit der Immobilien in den unterschiedlichen Bereichen bewertet werden können. Erste Kriterien für technische Aspekte gibt es bereits, weitere werden folgen. Dieses ESG-Rating wird – so warnen Experten – nicht nur bei börsennotierten Unternehmen zu einer Neubewertung ihres Bestandes führen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2021)

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