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"Große Freiheit": Österreichs Gefängnisfilm für den Oscar

Franz Rogowski in "Große Freiheit" von Sebastian Meise.
Franz Rogowski in "Große Freiheit" von Sebastian Meise.(c) Filmladen
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In „Große Freiheit“ kommen sich zwei Männer - einer davon verurteilt wegen seiner Homosexualität - im Gefängnis näher. Regisseur Sebastian Meise im „Presse"-Gespräch.

Es mag ein bisschen pietätlos klingen, aber: Auch Filme leiden unter der Pandemie. Ein Beispiel? Sebastian Meises „Große Freiheit“. Seit ihrer Premiere beim heurigen Filmfest von Cannes, wo sie in der Nebenschiene „Un Certain Regard“ mit dem Jurypreis prämiert wurde, hat die österreichisch-deutsche Koproduktion beachtliches „Momentum“ entwickelt (um es im US-Branchensprech zu sagen). Eine Auszeichnung jagt die nächste, namhafte Verleiher sichern sich internationale Verwertungsrechte. Schon im Oktober reichte Österreich den Film zur Auswahl für den Auslandsoscar ein.

Heute startet „Große Freiheit“ regulär in den heimischen Kinos. Doch wie lang er dort laufen wird, ist angesichts des absehbaren Lockdowns fraglich. Nicht nur wegen des Titels eine Ironie, geht es in Meises Film doch um die Suche nach Entfaltungsraum unter verriegelten Bedingungen. „Große Freiheit“ erzählt von der Beziehung zweier Männer, die sich in einem deutschen Gefängnis näherkommen. Und zeichnet so nach, wie Homosexualität in deutschsprachigen Gefilden auch lang nach Ende der NS-Herrschaft kriminalisiert wurde.

Paragraf 175: Keine Chance auf „freie Liebe"

Es schien ihm sinnvoll, die Geschichte um Gefängnisaufenthalte anzuordnen, meint Meise im „Presse“-Gespräch: „Haft ist die Grundkonstante im Leben des Protagonisten. Er kann ja gar nicht aufhören, ‘kriminell' zu sein.“ Hans (Franz Rogowski) wird nach dem Krieg aus dem KZ in den „Regelvollzug“ geschleust – und landet auch später immer wieder hinter Gittern. Begründung? „Widernatürliche Unzucht“ nach dem „Schwulenparagrafen“ 175. Dieser überstand den Untergang des NS-Regimes weitgehend schadlos und hielt sich bis 1969 ohne erhebliche Milderung – in Österreich sogar bis 1971. Erst 1994 wurde er vollständig abgeschafft. „Die Alliierten hatten ja zum Teil ähnliche Gesetze. Da gab es Fälle, wo Menschen freigelassen und gleich wieder ins Gefängnis zurückbeordert wurden“, erzählt Meise, der für „Große Freiheit“ viel zum Paragrafen recherchiert hat.

„Observationen“ auf Männertoiletten dienten oft als Belastungsmaterial. Der Film leitet mit solchen Staatsspechtler-Aufnahmen ein. Nachgerade sarkastisch wirkt danach die eingeblendete Jahreszahl 1968: Ringsum ruft die Welt nach „freier Liebe“, für Menschen wie Hans ist sie nicht einmal ein Traum. Rogowski spielt die Hauptfigur mit melancholischer Abgeklärtheit, die dem ganzen Film eigen ist. Bei der Leibesvisitation präsentiert er seinen Hintern beinahe herausfordernd. Was hat er auch zu verlieren?

Im Bau, wo die „Perversen“ rosa Deckchen nähen müssen, wartet ein alter Bekannter: Viktor (Georg Friedrich) sitzt wegen Mordes ein, hofft seit Jahrzehnten auf Entlassung. Über subtil eingefädelte Rückblenden erfahren wir, wie die zwei sich kennenlernten, wie aus Viktors anfänglicher Aversion schleichend Zuneigung und Zärtlichkeit wurde, wie sich das ungleiche Paar mit Liebesdiensten an Körper und Seele das Kerkerdasein erträglich machte.

Dabei wirkt nichts am Film kulissenhaft. Gedreht wurde in Ostdeutschland, wo es laut Meise einige leer stehende Gefängnisse gab: „Wir hatten über zehn zur Auswahl.“ Dennoch musste das Team Stellwände in größere Zellen einbauen, weil in den kleinen nicht genug Platz war. Auch Tonaufnahmen fielen schwer, draußen dröhnte eine Autobahn. Im Winter war es eiskalt. Für Meise ein lohnender Preis: Kein Studio biete die Atmosphäre eines echten Schauplatzes.

So besticht „Große Freiheit“ als scheinbar paradoxe Kreuzung aus Jean Genets schwuler Gefängnisfantasie „Un chant d'amour“ und Don Siegels staubtrockener „Flucht von Alcatraz“. Ersteren nennt Meise als Vorbild, Homoerotik sei ihm aber nicht so wichtig gewesen: „Im Vordergrund stand das Zwischenmenschliche: Liebe, Vertrauen, Freundschaft, der Widerspruch zwischen der Rohheit des Vollzugs und der Sehnsucht nach Nähe.“ Das Rückgrat des Films bildet die Dynamik zwischen Rogowski und Friedrich. „Sie hatten unterschiedliche Zugänge: Georg ging intuitiv an die Rolle heran, Franz erarbeitete sie sich eher über Reflexion.“
Die Aufarbeitung homophober Gesetzgebung in Deutschland und Österreich erachtet Meise als mangelhaft: „Zum Glück sind wir mittlerweile liberaler. Aber man muss nur nach Ungarn blicken, um zu sehen, dass Freiheit ein sehr fragiles Gut ist.“

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