Merkel setzt ihren Willen durch und erteilt Barroso Abfuhr

Merkel setzt ihren Willen
Merkel setzt ihren Willen(c) REUTERS (YVES HERMAN)
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Das Hasardspiel der Kanzlerin ging auf. Die Vertragsänderung könnte ihr allerdings noch entgleiten.

[BRÜSSEL]Angela Merkel konnte am Freitagnachmittag zufrieden ihren Flug von Brüssel nach Berlin antreten. Denn die deutsche Kanzlerin hat beim Europäischen Rat an allen Fronten gewonnen.

Sie hat erstens von den anderen 26 Staats- und Regierungschefs nach anfänglichem Murren ein klares Ja zur Änderung des EU-Vertragsrechts bekommen, um einen dauerhaften Krisenmechanismus zum Schutz des Euro gegen Spekulanten auf ein rechtlich sauberes Fundament zu stellen. Schon beim nächsten Gipfeltreffen in sechs Wochen wollen die EU-Chefs in dieser Frage eine Grundsatzentscheidung treffen.

Merkel behält zweitens die Trumpfkarte im Ärmel, weiterhin jederzeit eine Debatte über den Entzug der Stimmrechte unbelehrbarer Schuldenmacher vom Zaun brechen zu dürfen, wenn sich die anderen 26 Staaten dem deutschen Willen widersetzen sollten (auch wenn dieses Thema vorerst auf die lange Bank geschoben ist).

Und sie hat drittens im Ringen darum, wer in der Europäischen Union den Ton angibt – die Hauptstädte oder Brüssel?–, Kommissionspräsident José Manuel Barroso erneut in die Schranken gewiesen.

„Der Rat arbeitet künftig wirklich als Wirtschaftsregierung“, sagte Merkel nach Ende des Brüsseler Gipfels. „Ich bin mit diesem Ergebnis sehr zufrieden.“

Dreifacher Erfolg als Bumerang für Merkel?

Allerdings hat Merkel diesen dreifachen Erfolg um den Preis erzielt, ihr Verhältnis zu alten Verbündeten deutlich beschädigt zu haben, vor allem in ihrer eigenen politischen Familie, der Europäischen Volkspartei. Merkel hat Kommissionspräsident Barroso ebenso wie Luxemburgs Premier, den Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker und auch Parlamentspräsident Jerzy Buzek ziemlich brüskiert. Das kann ihr als Bumerang um die Ohren fliegen, wenn es darum geht, die Gesetze zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts oder den Budgetrahmen der Jahre 2014 bis 2020 durch Rat und Parlament zu bringen.

Vor allem bei der nun politisch ermöglichten Vertragsänderung samt Schaffung eines dauerhaften Krisenmechanismus wird Merkel die tatkräftige Mithilfe von Barroso und den anderen Regierungschefs benötigen. Er soll dem bis Sommer 2013 befristeten 440 Milliarden Euro schweren Haftungsverbund mit Sitz in Luxemburg folgen. Die Kommission hat nämlich nun den Auftrag, bis zum nächsten Europäischen Rat am 16.und 17.Dezember Vorschläge zu erstellen, wie ein permanenter Rettungsschirm aussehen soll.

Beschluss erst im Frühjahr 2011

Dabei sind gewichtige Fragen zu beantworten: Woher soll das Geld kommen? Wer soll diesen Mechanismus führen? (Die Kommission sicher nicht, das machte Merkel mehrfach klar.) Wie sollen die privaten Anleihegläubiger an den Kosten der Insolvenz eines Eurolandes beteiligt werden? Und wie soll garantiert werden, dass dieser Mechanismus nur als letzter Ausweg gewählt wird?

„Ich glaube nicht, dass wir schon im Dezember mit einem juristisch harten Vorschlag kommen können“, sagte ein hoher Kommissionsbeamter zur „Presse“. Eher sei zu erwarten, dass Barroso beim Dezember-Rat mehrere Optionen in Form eines Briefes oder einer Mitteilung vorlegen werde. Folglich dürfte der Rat die Vertragsänderung erst im März 2011 beschließen können.

Europaparlament drängt sich hinein

Parallel dazu wird Ratspräsident Herman Van Rompuy die Möglichkeit ausloten, diesen Mechanismus im Wege von „begrenzten Änderungen des Vertrags“ zu ermöglichen. Van Rompuy und Barroso müssen also eng zusammenarbeiten. Da ist es wenig hilfreich, dass Barroso weiterhin die Ansicht vertritt, eine Vertragsänderung sei eigentlich nicht nötig. Von Eurogruppenchef Juncker ist wenig Hilfe zu erwarten. Der ist tief gekränkt, dass Merkel ihn nicht ernst nimmt. Und er ist angesichts der vielen luxemburgischen Banken, die künftig bei Schuldenkrisen mitzahlen müssen, befangen.

Auch mit dem Europaparlament sollte sich Merkel gut stellen. Denn die Euromandatare haben bei einem Großteil der Reformen des Stabilitätspakts ein Vetorecht. Der Beschluss auf dem Gipfel, das EU-Budget 2011 (und damit den Haushalt des Parlaments) nur um 2,9 Prozent statt wie von den Mandataren gefordert doppelt so hoch steigen zu lassen, war zudem ein Affront.

„Wir wollen bei jedem künftigen Vorschlag involviert werden“, sagte Parlamentspräsident Buzek hinsichtlich der Frage der Vertragsänderung. Merkels Triumph könnte sich somit in einen Pyrrhussieg verwandeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2010)

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Bis zum Frühjahr 2011 soll Ratspräsident Van Rompuy einen Vorschlag für einen dauerhaften Rettungsmechanismus bei Finanzkrisen erarbeiten. Ein Stimmrechtsentzug für unbelehrbare Schuldenmacher ist vom Tisch.

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