Glaubensfrage

Wir brauchen keine Schönwetter- oder Irrlicht-Politiker

Verantwortungsträger nehmen ihre Verantwortung nicht oder zu spät wahr, schwänzen den Job und enttarnen sich als Schönwetter- oder gar Irrlicht-Politiker

Wenn nach Ankündigung von Lockdown IV und Impfpflicht Herbert Kickl als Chef einer Parlaments-Partei Österreich in einer Diktatur wähnt: Wie soll man reagieren? Was sagt es über den, der solches meint? Welches Verständnis von Demokratie und Diktatur hat er? Meint er es ernst? Wenn ja, wann wendet er sich mit einem Hilferuf an die Staatengemeinschaft? Die UNO? Amnesty International (AI)? An einen Staatsvertrags-Signatarstaat? An Wladimir Putin, wenn ihm der näher steht und AI politisch nicht passt?

Unabhängig von diesem Fall haben es Politiker nicht verdient, generell unter Verdacht zu stehen, wahlweise nur auf den eigenen (parteipolitischen) Vorteil bedacht, unfähig oder korrupt zu sein. Demokratie kommt – no na – nicht ohne Politiker aus. Sie sind oft in den Beruf gestolpert, getrieben aus ehrenhaften Motiven, ohne die die Gesellschaft nicht auskommt: Gestaltungswunsch, Weltveränderungsfantasien, Idealismus. Sie erfüllen eine unterschätzte Aufgabe für die Allgemeinheit.

Aber: Wenn einander während der Pandemie Politiker in Bundes- und Landesregierung widersprechen, wenn gezaudert wird, sich Auffassungen in 24 Stunden um 180 Grad wenden, dann stecken wir nicht nur in einer gesundheitlichen, sondern auch politischen Krise. Besonders Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer und sein oberösterreichischer Kollege Thomas Stelzer haben sich entzaubert. Es gibt kein Naturgesetz, weshalb in diesen Bundesländern seit Wochen die Zahl der Covid-Infizierten durch die Decke geht. Da ist klar, dass es zu gravierenden Versäumnissen gekommen ist – in der Kommunikation, in der Überzeugungsarbeit für die Notwendigkeit der 1., 2., 3. Impfung, in der Vorbereitung und im Zur-Verfügung-Stellen von Tests, auch im Verordnen von Maßnahmen, die gewisse Gruppen vielleicht noch mehr in Aufregung versetzen, die aber Schlimmeres verhindern.

Hier wie da, es fehlen die Autoritäten. Das ist keine Sehnsucht nach dem starken Mann mit totalitärem Habitus. Es fehlen starke Männer und Frauen, die kraft natürlicher Autorität wirken. Die die Fähigkeit haben, andere zum Denken, vielleicht sogar Umdenken zu bewegen. Frauen und Männer, die im öffentlichen Diskurs einen Ruck bewirken können, einen Ruck nicht nur um die wenig ruhmreiche Impfquote zu heben. Einen Ruck in Richtung mehr Selbstverantwortung jedes Einzelnen, für sich Verhaltensregeln zu definieren und einzuhalten, auch wenn sie nicht von einer zögerlichen, ängstlichen Politik kommen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen müht sich redlich. Hin und wieder versucht ein Wissenschaftler den Österreich-Drosten. Kardinal Christoph Schönborn schreibt eine Kolumne in der Gratis-Zeitung seines Vertrauens. Das war es dann schon. Es reicht nicht.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2021)

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