Beinhart: Jeder Knochen ist ein Individuum

(c) Michaela Seidler
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Der Wiener Knochenforscher Hellmich erforscht mithilfe eines "ERC-Starting Grants" die mechanischen Eigenschaften von Knochen. Forschungspartner sind Kollegen vom MIT und der „École des Ponts ParisTech“ (ENPC).

Bein ist nicht gleich Bein. Wie groß ist die Elastizität? Welchem Druck hält es stand? Gibt es verlässliche Prognosen für das Strukturverhalten des Skeletts? Für die Medizin – etwa auf dem Gebiet der Osteoporose – sind das essenzielle Fragen. „Ich glaube, wir können bereits punktgenau sagen: Besteht eine Gefährdung oder besteht sie nicht“, sagt Christian Hellmich (TU Wien). Der knapp 39-jährige Forscher ist eigentlich gelernter Bauingenieur, bei seinen Forschungsjahren 2000 bis 2002 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA wurde er dann mit knochenspezifischen Fragestellungen konfrontiert. Über Röntgenaufnahmen und die Computertomografie werden geometrische und einige chemische Informationen über den Knochenaufbau gewonnen, die dann in ein patientenspezifisches Modell umgelegt werden.

Das Knochenmaterial aller Wirbeltiere, erläutert Hellmich, besteht zwar an sich aus denselben Grundbausteinen, diese sind aber individuell unterschiedlich ausgeprägt. Eine der grundlegenden mechanischen Eigenschaften des Knochens, seine Elastizität, ist bereits berechenbar. Hellmich und sein Team gehen nun einen Schritt weiter. Jetzt wird ein Verfahren zur Feststellung der Festigkeit entwickelt: Unter welchem Krafteinfluss verändert sich der Zustand? Für dieses Projekt hat der TU-Forscher nun einen der mit 1,5 Millionen Euro dotierten „ERC-Starting Grants“ (Forschungspreise des Europäischen Forschungsrates) erhalten.

Wenn sich Risse in den Mineralkristallen eines Knochens bilden, beginnt der Prozess des Knochenversagens. Jetzt wird darüber hinaus untersucht, wie biologische Zellen unter unterschiedlichen chemischen Bedingungen arbeiten. „Bekommt man das in den Griff“, so Hellmich, „dann haben wir Lösungen für die Therapie.“ Diese reichen von der Verabreichung von Mangelstoffen bis zur Verordnung von körperlichen Aktivitäten.


Kooperation mit dem MIT. Die Wiener Knochenforscher treiben ihre Forschung über Bildschirm und Rechner voran. Dazu kommen Arbeiten im Mikro- und Nanomechaniklabor für biologische und biomimetische Materialien sowie im Labor für makromechanische Versuche. Forschungspartner sind Kollegen vom MIT und der „École des Ponts ParisTech“ (ENPC). Dabei gibt es Querverbindungen zu verschiedensten Wissenschaftsbereichen: Medizin, Materialwissenschaften, angewandte Mathematik und Strahlenphysik. Mit dem 1,5-Mio-Euro-Preisgeld soll das derzeit kleine Drei-Personen-Team verstärkt werden.

Bei der Kieferorthopädie gibt es bereits Kooperationen mit Zahnmedizinern in Basel und Frankfurt. Ein weites Anwendungsfeld könnte sich bei Osteoporose eröffnen: Wenn Softwarefirmen die in Wien entwickelten Modelle umsetzen, könnte im Rahmen der Gesundheitsvorsorge eine zusätzliche Vorbeugung entwickelt werden. Dann würde man über das Gleichgewicht der biologischen Zellen, die den Knochen dauernd ab- und aufbauen, informiert werden. Der Einzelne erfährt, wo und in welchem Ausmaß eine Bruchgefährdung besteht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2010)

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