Der ökonomische Blick

Die Glaubwürdigkeits-Revolution in der Ökonomie

Guido Imbens, Joshua Angrist und David Card
Guido Imbens, Joshua Angrist und David CardAPA/AFP/MIT Department of Econom
  • Drucken

Die diesjährigen Ökonomie-Nobelpreisträger David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens haben in den vergangenen Jahren die Ökonomie gehörig durcheinander gewirbelt

Die diesjährige Verleihung des „Preises der Schwedischen Nationalbank in Wirtschaftswissenschaften in Erinnerung an Alfred Nobel“ erfolgte unter dem Titel einer Glaubwürdigkeitsrevolution in der Ökonomie. Die Preisträger (David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens) haben in den letzten 30 Jahren die Ökonomie gehörig durcheinander gewirbelt: die Profession ist sehr viel datenzentrierter und empirischer geworden; innerhalb der empirischen Ökonomie wurde ein starker Fokus auf Kausalitätsanalysen gelegt. Kausalität bedeutet, dass eine klare Ursachen-Wirkungs-Beziehung, wie in einem Experiment, hergestellt werden kann: Eine Wirkung ist ursächlich durch eine Politikmaßnahme hervorgerufen worden und nicht durch dritte Faktoren hervorgerufen oder durch eine umgekehrte Kausalität bedingt.

Nehmen wir an, wir wollen wissen, ob sich ein Mindestlohn negativ auf die Beschäftigung auswirkt, wie ein einfaches Modell (bei vollständiger Konkurrenz) prognostiziert. Deutschland, Großbritannien und die USA sollten das genau wissen wollen, weil dort über eine potenzielle Erhöhung des Mindestlohns diskutiert wird. Ein simple Zeitreihe der Entwicklung des Mindestlohnes und der Beschäftigung kann das nicht liefern. Eine überzeugende Kausalitätsstudie leidet typischerweise an dem „kontrafaktischen Problem“: Wir kennen nur die Ergebnisse, die nach der Erhöhung des Mindestlohnes vorgelegen haben, wissen aber nicht, was ohne diese Erhöhung passiert wäre. Früher löste man solche Probleme durch Modellannahmen, die oft sehr zweifelhaft waren.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.

>>> Alle bisherigen Beiträge

Card und sein Ko-autor Alan Krueger untersuchten Beschäftigungsdaten von Fastfood-Restaurants in den benachbarten Bezirken von New Jersey und Pennsylvania vor und nach der Erhöhung des Mindestlohnes in New Jersey – ohne eine Beschäftigungsverringerung feststellen zu können. Diese Studie war bahnbrechend, weil sie eine quasi-experimentelle Situation hergestellt hat: eine Intervention wird in einer experimentellen Gruppe unternommen, in der ansonsten gleichen Kontrollgruppe gibt es keine Intervention. Wenn die beiden Gruppen sich vor der Intervention gleich entwickelt hatten und man hinreichend nachweisen kann, dass es keine anderen Interventionen, etc. gegeben hat, ist man einen Schritt weiter zur Identifikation des gesuchten Effektes.

Joshua Angrist und Alan Krueger treiben die quasi-experimentellen Analysen einen Schritt weiter, indem sie zufällige Variationen in der Realität ausnutzen um so einen kausalen Effekt zu ermitteln. Der monetäre Ertrag der Schulbildung ist typischerweise schwer zu ermitteln, weil Personen mit höheren kognitiven Fähigkeiten häufig länger zur Schule gehen, simple Korrelationen oder Regressionen liefern daher falsche Resultate. Die Autoren beobachten, dass die Schulpflicht in den USA exakt bis zum 16. Geburtstag läuft; danach könn(t)en die SchülerInnen jederzeit die Schule verlassen.  Daraus ergibt sich, dass das zufällige Geburtsdatum mit der Anzahl an Schuljahren korreliert ist. Viele SchülerInnen reagieren aber gar nicht auf diese Schulpflicht, weil sie sowieso auf die Uni gehen wollen. Mithilfe eines sogenannten „Instrumentvariablenverfahrens“ kann nun der monetäre Ertrag eines zusätzlichen Schuljahres berechnet werden, in der neuen Interpretation von Angrist aber nicht für alle Personen, sondern nur für diejenigen, die aufgrund des frühen Geburtsdatums mehr Zeit in der Schule verbringen. Diese Interpretation ist aber genau die richtige, weil die Intervention (frühes/spätes Geburtsdatum) das Verhalten der Jugendlichen verschieben kann.

Diese Methoden kommen immer häufiger auch bei randomisierten Feldexperimenten zur Anwendung, die zwar der Goldstandard in der empirischen Forschung sind, wo aber aufgrund von Selektionsproblemen und Ausfällen im experimentellen Design komplexere statistische Methoden verwendet werden müssen. Janet Currie et al zeigen, dass in den letzten 40 Jahren der Anteil an Forschungsaufsätzen, die im obigen Sinne natürliche Experimente verwendet haben, von 0 auf fast 40 Prozent gestiegen ist, Laborexperimente und Randomisierte Feldexperimente zusammen sind auch auf mehr als 10 Prozent aller Aufsätze in Top-Journalen angestiegen. Ökonomische Forschung wird also empirischer und glaubwürdiger.

Enge Beziehung zu Österreich

Die Nobelpreisträger haben aber auch eine enge Beziehung zu Österreich. David Card arbeitet seit Jahren mit Andrea Weber von der (jetzt) Wiener Central European University zusammen. Als Beispiel eine Arbeit, wo sie den Effekt von Arbeitslosengeld auf die Dauer der österreichischen Arbeitslosigkeit untersuchen. Wiederum ist es schwierig, den generellen Effekt der Arbeitslosenunterstützung zu ermitteln, weil der Anspruch auf Arbeitslosengeld mit dem früheren Einkommen und der Berufstätigkeit variiert. Für bestimmte Arbeitslose dauert jedoch der Anspruch auf Arbeitslosengeld 20 Wochen, für andere 30 Wochen. Card, Chetty und Weber zeigen nun, dass die Hazardrate (vereinfacht: die wöchentliche Wahrscheinlichkeit die Arbeitslosigkeit zu verlassen) sehr konstant ist, aber gerade beim Ende des Arbeitslosengeldanspruchs besonders hoch ist (die rote Linie in der Grafik). Bei genauerer Betrachtung sieht man allerdings, dass viele Arbeitslose sich zwar nach Ablauf der Unterstützung nicht mehr arbeitslos melden, tatsächlich aber keinen neuen Job aufnehmen (blaue Linie), das heißt, sie geben die offizielle Suche am Arbeitsamt auf. Auch diese Studie kann Glaubwürdigkeit durch eine exakte Analyse der Daten und ein natürliches Experiment (die Dauer des Anspruchs) gewinnen.

Was bedeuten diese Arbeiten für die Entwicklung der Ökonomie als Wissenschaft? Mehr Selbstbewusstsein und mehr Bescheidenheit. Mehr Selbstbewusstsein, weil klare empirische Strategien es viel besser erlauben, kausale Effekte zu ermitteln. Die von Card und Angrist vorgeschlagenen Methoden wurden in der Zwischenzeit stark weiterentwickelt und bieten viel mehr Tests als früher. Mehr Bescheidenheit, weil die Methoden es nur erlauben, zu sehr spezifischen Fragen genaue Antworten zu geben. Man kann nur ein bestimmtes natürliches Experiment evaluieren und dadurch möglicherweise keine Standardantwort auf große ökonomische Fragen geben. Oder wie David Card selber sagte: „Ich laufe nicht herum, und sage man soll generell den Mindestlohn erhöhen – obwohl Befürworter auf meine Arbeit zeigen, dass sie genau das aussage“ (eigene Übersetzung). Seine Studie gibt eine Antwort auf eine spezifische Situation, die Übertragung auf Österreich und heute muss gesondert untersucht werden.

Der Autor: Rudolf Winter-Ebmer ist Vorstand am Institut für Volkswirtschaft der JKU Linz und Präsident der Nationalökonomischen Gesellschaft.
Der Autor: Rudolf Winter-Ebmer ist Vorstand am Institut für Volkswirtschaft der JKU Linz und Präsident der Nationalökonomischen Gesellschaft.Beigestellt

Quellen:

Joshua Angrist und Alan Krueger: Does Compulsory School Attendance Affect Schooling and Earnings? Quarterly Journal of Economics, 1991.

David Card und Alan Krueger: Minimum Wages and Employment: A Case Study of the Fast-Food Industry in New Jersey and Pennsylvania, American Economic Review, 1994.

David Card, Raj Chetty und Andrea Weber: The Spike at Benefit Exhaustion: Leaving the Unemployment System or Starting a New Job, American Economic Review, Papers and Proceedings, 2007.

Janet Currie, Henrik Kleven und Esmée Zwiers: Technology and Big Data Are Changing Economics, NBER Working Paper, 2020.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der ökonomische Blick

Österreichs Kampf gegen die Inflation ist teuer, klimaschädlich und nicht treffsicher

Österreich befindet sich bei Ausgaben gegen die Inflation im Vergleich von 29 europäischen Ländern an fünfter Stelle. Zu einem großen Teil sind die Maßnahmen jedoch kontraproduktiv für die Klimaziele und nicht treffsicher. Wie das in Zukunft verhindert werden könnte.
Der ökonomische Blick

(Was) verlieren Arbeitnehmer, wenn sie ein paar Monate lang nicht arbeiten gehen?

In unserer jüngsten Studie untersuchen wir die Folgen einer vorübergehenden Abwesenheit vom Arbeitsplatz auf die langfristige Lohnentwicklung ungarischer Arbeitnehmer:innen. Und kamen zu zwei wesentlichen Ergebnissen.
Der ökonomische Blick

Wie der Mietpreisdeckel in der Bevölkerung gesehen wird

Unter Ökonomen besteht ein hoher Konsens darüber, dass die aktuell intensiv diskutierten Mietregulierungen ineffizient sind. Doch welche Effekte dieser Maßnahme sind für die Bevölkerung wichtig und für die hohe Unterstützung in der Öffentlichkeit ausschlaggebend?
Der ökonomische Blick

Wie die Corona-Pandemie Österreichs Immobilienmarkt beeinflusst hat

Wie haben sich Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Veränderungen in den Arbeitsbedingungen auf den österreichischen Immobilienmarkt ausgewirkt? Eine Bilanz.
Der ökonomische Blick

Sprache und Integration: Die langfristigen Wirkungen der Schulpolitik

Programme für neu eingetroffene Flüchtlinge und Migranten gelten als besonders erfolgreich, wenn sie einen starken Schwerpunkt auf Sprachtraining setzen. Eine empirische Studie aus den USA legt nun nahe, dass die erzwungene Sprachwahl an der Schule nach hinten losgehen kann.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.