Musikdoku

Das vergessene „Black Woodstock“

Summer of Soul
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„Summer of Soul“ holt das Harlem Cultural Festival von 1969 ins kulturelle Gedächtnis zurück. Für Afroamerikaner begann damals eine neue Ära. Zu sehen auf Disney+ und Sky.

1969 war das Jahr, in dem „der Negro starb und ,Black‘ geboren wurde“, stellte ein Festivalbesucher stolz fest. Dabei handelte es sich nicht bloß um eine sprachliche Spitzfindigkeit. Es vollzog sich tatsächlich eine Zeitenwende für die Afroamerikaner. Der Kummer nach der Ermordung ihrer Führer (Malcolm X und Martin Luther King) war halbwegs überwunden. „We want a new life“, proklamierte ein Konzertgeher. Im Herzen Harlems, im Mount Morris Park, wurde über sechs Wochen das neu erwachte Selbstvertrauen der Afroamerikaner zelebriert. Daran erinnert der Film „Summer of Soul (. . .Or, When the Revolution Could Not Be Televised)“, der auf Disney+ und Sky gestreamt werden kann.

Blickt man ins bis zu 50.000 Menschen umfassende Publikum, sieht man, dass 1969 auch das Jahr war, in dem die Afro-Frisur populär wurde. Das natürlich belassene Haar symbolisierte den Freiheitsdrang der Menschen. Viele trugen afrikanische Kleidung, vorzugsweise einen bunt bedruckten Dashiki, der als „Freedom Suit“ galt. Parallel zur Moderevolution wurde auch in der Musik ein Gestus der Revolte gepflegt. Nina Simone übertrieb es aber. Ihrer Ansage, dass ein Künstler seine Zeit reflektieren müsse, konnte man ja noch zustimmen. Die Bitterkeit, die den „Backlash Blues“ trieb, ist auch noch verständlich. In „Are You Ready, Black People“ wurde sie jedoch extrem. „Are you ready to kill if necessary? Are you ready to smash white things? Are you ready to burn buildings?”, hetzte sie. Die Zuseher blieben ruhig.

Allein dafür lohnt es sich, diesen Streifen anzuschauen. Hal Tulchin drehte damals über 40 Stunden Filmmaterial, das unverkäuflich war. Nicht einmal das hastig hinzugefügte Etikett „Black Woodstock“ half. Nun hat sich Questlove, der Schlagzeuger von The Roots, der Sache angenommen. Zum Archivmaterial schnitt er aktuelle Reaktionen damaliger Besucher und Künstler.

Granden aus Gospel, Soul und Jazz

Auch der Originalregisseur kommt zu Wort. Seine Ausgangssituation beschreibt er mit „No budget, no money, no lights“. Die Bühne wurde nach Westen ausgerichtet, um das Tageslicht optimal ausnützen zu können. In diesem tummelten sich viele Granden: fantastische Soulsänger wie David Ruffin und Stevie Wonder, Jazzer wie Hugh Masekela, Latinstars wie Ray Barretto. Auch The Fifth Dimension war da, die damals als „black group with the white sound“ galt. Ihr Medley aus „Aquarius“ und „Let the Sunshine in“ aus dem Musical „Hair“ war quasi die Signation der neuen Zuversicht. Einer der packendesten Momente ist das Duett von Gospelkönigin Mahalia Jackson und der jungen Mavis Staples, die „My Precious Lord“, das Lieblingslied von Martin Luther King, gaben: ekstatisches Singen der Sonderklasse, gleichsam eine Eruption des Heiligen Geistes.

Auch junge schwarze Politiker wie Jesse Jackson standen auf der Bühne, um ihre am Gospelduktus geschulten Sermone abzulassen. Sogar Bürgermeister John V. Lindsay gab sich die Ehre. Der sei ein „blue-eyed soul brother“, der „sich unter Schwarzen immer wohlfühle“, versicherte Veranstalter Tony Lawrence. Von Greg Errico, dem weißen Schlagzeuger in der Band von Sly Stone, waren da mehr Besucher irritiert. Er führte damals schon eine „inklusive“ Band an. Da groovten Frauen und Männer, Schwarze und Weiße. An einem der Konzerttage, am 20. Juli 1969, landete Apollo 11 auf dem Mond. Den Besuchern war das herzlich egal: „It's groovy for certain people but not for the black man.”

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2021)

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