Migration

"Größtes Drama": Mindestens 27 Tote bei Bootsunglück im Ärmelkanal

Die Zahl der Todesopfer könnte sich noch erhöhen. Fünf Frauen und ein kleines Mädchen sind darunter.

Beim Untergang eines Bootes mit Migranten auf dem Weg nach Großbritannien sind zumindest 27 Menschen gestorben. Darunter befanden sich fünf Frauen und ein kleines Mädchen, wie Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin am Mittwochabend in Calais mitteilte. Zwei weitere Menschen, die sich auf dem Boot befanden, konnten gerettet werden, schwebten aber in Lebensgefahr. Eine Person gilt als vermisst.

Vier Schleuser, die möglicherweise an der gescheiterten Überfahrt beteiligt waren, seien festgenommen worden, so Darmanin. "Das ist das größte Drama, das wir bisher erlebt haben." Auch Premierminister Jean Castex sprach von einer Tragödie, seine Gedanken seien bei den zahlreichen Opfern. Zunächst war sogar von 33 Todesopfern die Rede.

Macron: Kein Friedhof am Ärmelkanal

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rief unterdessen zu einer Krisensitzung auf europäischem Niveau auf. Frankreich werde nicht zulassen, dass der Ärmelkanal sich in einen Friedhof verwandele und Schleuser Menschenleben in Gefahr brächten. Die Mittel der Grenzschutzagentur Frontex an den Außengrenzen der EU müssten unverzüglich erhöht werden. Gemeinsam mit Großbritannien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland müsse verstärkt gegen kriminelle Schleusernetzwerke vorgegangen werden, verlangte Macron. Seit Jahresbeginn seien 1.552 Schleuser an der französischen Küste gefasst worden.

Der britische Premierminister Boris Johnson sagte, er sei "schockiert, entsetzt und zutiefst betrübt" nach dem Tod der Migranten, berichtete die Nachrichtenagentur PA. Als Reaktion berief er das nationale Sicherheitskabinett ein.

Wie die Maritime Präfektur mitteilte, setzte ein Fischerboot den Notruf ab, dass sich Migranten in Seenot im Ärmelkanal befänden. Mit drei Booten und Hubschraubern aus Frankreich und Großbritannien bemühten sich Helfer um eine Bergung, die Suche wurde dann am Abend abgebrochen. Sämtliche Opfer wurden nach Calais gebracht. Die Zeitung "La Voix du Nord" berichtete von einer bleiernen Stille in dem von Sicherheitskräften abgesperrten Hafen, als die Toten in der Dunkelheit an Land gebracht wurden.

Dreimal so viele Migranten wie 2020

Im laufenden Jahr haben bisher mehr als 25.700 Menschen illegal den Ärmelkanal überquert. Das sind fast dreimal so viele wie im gesamten Jahr 2020. Die britische Regierung wirft Frankreich vor, nicht genug gegen illegale Überfahrten zu unternehmen, Paris weist das zurück.

Erst im Juli hatten beide Seiten ein neues Kooperationsabkommen vereinbart, um die wachsende Zahl der Migranten, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach England kommen, in den Griff zu bekommen. London sagte dabei 62,7 Millionen Euro zu, um die französischen Behörden zu unterstützen.

Vor allem die britische Innenministerin Priti Patel steht wegen der wachsenden Zahl an Migranten unter Druck. Konservative Kreise und Medien sprechen von einer "Krise". Allerdings ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Großbritannien Asyl beantragen, deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Patel hatte angekündigt, die Überfahrten zu beenden. Nach dem Brexit führte die Regierung scharfe Zuwanderungsregeln ein. Noch aber hat Patel kein Mittel gefunden, die Migration über den Ärmelkanal zu stoppen. Zuletzt kündigte sie erneut eine Verschärfung der Asylregeln an.

Der Vize-Präsident der Region Hauts-de-France, in der Calais liegt, beschuldigte am Abend Großbritannien. "Die Briten sind verantwortlich. Das ist nicht der Fehler Frankreichs, das ist nicht der Fehler von Europa", sagte Franck Dhersin.

(APA)

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