Gemeinsame Obsorge?

"Einschnitt für alle Frauen": Kritik an Reformplänen für Kindschaftsrecht

Bei der Geburt eines Kindes wisse man nicht, wie sich die Beziehung der Eltern entwickle, merkt der Verein feministischer Alleinerzieherinnen (FEM.A) an, "Gemeinsamkeit" könne nicht gesetzlich verordnet werden. (Symbolbild)
Bei der Geburt eines Kindes wisse man nicht, wie sich die Beziehung der Eltern entwickle, merkt der Verein feministischer Alleinerzieherinnen (FEM.A) an, "Gemeinsamkeit" könne nicht gesetzlich verordnet werden. (Symbolbild)(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Eine automatisch gemeinsame Obsorge ab der Geburt, wie sie in einer Novelle der Justizministerin ausgearbeitet werden dürfte, würde Müttern "ihr Selbstbestimmungsrecht nehmen“, kritisieren Gewaltschutzexpertinnen.

Österreich verzeichne eine Serie von bereits 28 Femiziden und 51 Mordversuchen an Frauen seit Jahresanfang, darauf haben Gewaltschutzexpertinnen anlässlich der weltweiten Initiative "16 Tage gegen Gewalt" (bis 10. Dezember) hingewiesen. Viele solcher Gewalttaten seien im Zusammenhang mit Frauen diskriminierenden und patriarchalen Strukturen zu sehen, die mit aktuellen Plänen zur Reform des heimischen Kindschaftsrechts und Kindesunterhalts fortgesetzt würden.

Die geplante Novelle, die Justizministerin Alma Zadić (Grüne) erarbeiten lässt, dürfte im Frühjahr 2022 in Begutachtung geschickt werden. Heftig kritisiert wurde bei der Online-PK des Österreichischen Frauenrings (ÖFR), des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) und des Vereins Feministische Alleinerzieherinnen (FEM.A) das Vorhaben zur Einführung einer automatischen gemeinsamen Obsorge beider Elternteile "ex lege", also per Gesetz, ab der Geburt.

"Das wäre ein enormer Einschnitt für alle Frauen", warnte AÖF-Geschäftsführerin Maria Rösslhumer. "Bei der Geburt eines Kindes weiß man nicht, wie sich eine Beziehung entwickelt." Es würde bedeuten, "dass Müttern ihr Selbstbestimmungsrecht vollkommen genommen wird". Gemeinsamkeit könne nicht gesetzlich verordnet werden, betonte FEM.A-Obfrau Andrea Czak. Das Konzept sei auch das Gegenteil eines "feministischen Ansatzes". Völlig abzulehnen sei eine gemeinsame Obsorge ohnehin bei jeglicher Form von Gewalt in der Familie. Diese Forderung werde von den heimischen Behörden aber schon jetzt allzu oft hinter die Kontaktrechte gereiht.

„Kinder-Doppelresidenz durch die Hintertür“

Nicht mit den Rechten von Frauen und Kindern vereinbar sei weiters eine geplante Festlegung von jeweils einem Drittel "Mindestbetreuungszeit" ab dem vierten Lebensjahr, sagte Susanne Wunderer von FEM.A. Bei zunehmender Betreuungsleistung würde sich die Höhe der Unterhaltszahlung vermindern und "in der Praxis wohl immer geringer" werden. Es handle sich zudem um eine Einführung "der Kinder-Doppelresidenz durch die Hintertür". Und mit einer geplanten "Betreuungs-App", mit der man am Handy ausrechnen können soll, wie sich das Ausmaß der Betreuungszeit auf die Höhe des zu leistenden Kindesunterhalts auswirkt, würde "das Kind zur Ware zwischen den Eltern", kritisierte ÖFR-Vorsitzende Klaudia Frieben.

Schon das bestehende Kindschaftsrecht weise viele Mängel auf, die nicht mit dem Kindeswohl vereinbar seien, waren sich die Frauenrechtsexpertinnen einig. Seit 2013 können Väter die gemeinsame Obsorge gegen den Willen der Mütter durchsetzen. Eine versprochene Evaluierung dieser Bestimmung unter Einbeziehung der Betroffenen habe bisher nicht stattgefunden. Ledige Mütter etwa seien bis heute nicht befragt worden. "Mit der geplanten Novelle soll der Weg weiter begangen werden, ohne die Bedenken zu berücksichtigen, die wir bisher schon vorgetragen haben", so Wunderer. In Pflegschafts- und Obsorgeverfahren seien diese Mängel bei der "erzwungenen" gemeinsamen Obsorge, der "verordneten" Doppelresidenz und einem ausgedehnten Kontaktrecht "auch bei häuslicher Gewalt" in der Praxis längst sichtbar, so Frieben.

Hoffnung auf Austausch mit Zadić

Man hoffe auf Verhandlungsbereitschaft von Ministerin Zadić, lautete der Tenor. "Wir fordern die Regierung auf, keine Gesetze zu schaffen, die sowohl dem Kindeswohl als auch dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen entgegenstehen", sagte Frieben.

Die geplante Modernisierung des Kindschaftsrechts beinhalte aber auch positive Aspekte, etwa einen "Care-Unterhalt", so Czak. "Gut wäre überdies auch eine Unterhaltsgarantie", regte sie an.

(APA)

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